Bundeswehr ist gewohnt schlagkräftig

Der 21-jährige Gökcer Köten wurde in einer Potsdamer Kaserne zusammengeschlagen. Nur ein Fall von vielen: Bei der Bundeswehr kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen. Der Wehrbeauftragte spricht von „ernstem Problem“

von ULRICH SCHULTE
und SASCHA TEGTMEIER

Die Bundeswehr ist bekanntlich eine schlagkräftige Truppe. Es gebe erschreckende Beispiele für Rechtsextremismus, Gewalt und Erniedrigung, so das Fazit des Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe, als er im März seinen Bericht für das Jahr 2005 vorstellte. Hinter den abstrakten Formulierungen verbergen sich Geschichten wie die von Gökcer Köten, der sich bei der taz meldete. Der 21-jährige Wehrdienstleistende mit türkischem Migrationshintergrund, der der Potsdamer Havellandkaserne zugeteilt ist, musste am Mittwoch vergangener Woche erfahren, wie seltsam es manchmal um die Kameradschaft bestellt ist.

Es geschah am Nachmittag, kurz vor einer Sportübung. Köten saß auf dem Tisch seiner Stube, als drei Hauptgefreite hereinstürmten. Auf seine Frage, was denn los sei, hätten sie ihn beschimpft, erzählt Köten – als „Arschloch“, „Asi“ oder „schwule Sau“. Es gelang ihm, an den dreien vorbei herauszulaufen.

Doch nach dem Sport schritten die Kameraden zur Tat. Gegen 16.15 Uhr, nach dem letzten Appell zum Dienstschluss, seien die Hauptgefreiten hinter ihm ins Zimmer gekommen, erzählt der Wehrdienstleistende. Seinen Mitbewohner hätten sie herausgeschickt. Der bestätigt die Erzählung. Einer der Soldaten habe ihm mit Faust ins Gesicht geschlagen, zwei standen Schmiere. „Es waren mindestens fünf Schläge, mein Kopf knallte an den Spind hinter mir.“ Für den Mann hatte der Angriff Folgen: Die Lippe blutete, auf dem Heimweg sei ihm übel und schwindlig geworden, noch am Abend fuhr er ins Krankenhaus, wo er zwei Tage verbrachte. Seit gestern schiebt er wieder Dienst – vorerst im Büro. „Gerade weiß ich nicht, wie ich den Dienst weiterführen soll – ich habe Angst.“

Selten sind solche Übergriffe nicht. 5.600 Beschwerden gingen 2005 beim Wehrdienstbeauftragten ein. Körperverletzungen und Misshandlungen fänden in vielfältiger Form unter Kameraden, aber auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, statt, schreibt Robbe. „Die Vielzahl lässt vermuten, dass es eine nicht unerhebliche Dunkelziffer gibt.“ 147 Übergriffe hatten im vergangenen Jahr einen rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund.

Ob der Angriff auf den schwarzhaarigen Gökcer Köten auch etwas mit allzu rechter Gesinnung zu tun hat, ist völlig offen. Das Opfer selbst schließt dies aus. Besagter Schläger habe in der Kaserne schon öfter zugelangt, sagt Köten. „Vielleicht traf es mich, weil ich mich nicht genug angepasst habe.“ Er sagt auch, er sei öfter „Schwarzkopf“ genannt worden, was er als rauen Scherzton einordnet. Seine Mutter, Nazife Köten, erzählt: „Immer wieder haben ihn andere Soldaten wegen seines türkischen Vornamens gehänselt.“

Ein Bundeswehrsprecher bestätigte gestern den Vorfall, wollte sich aber nicht detailliert äußern. „Es handelt sich um ein laufendes Verfahren. Die Beteiligten werden derzeit vom Kompaniechef vernommen.“ Natürlich würden Konsequenzen folgen, so der Sprecher. Ganz außergewöhnlich findet er handfeste Auseinandersetzungen zwischen den Soldaten allerdings nicht: „Wenn einer eine freche Klappe hat, und die nach mehrmaliger Aufforderung nicht hält, kriegt er eben einen drauf.“

Der Wehrbeauftragte sieht das anders. „Das Problem muss ernst genommen werden“, sagt Robbe mit Blick auf Misshandlungen. Häufig sei Alkohol im Spiel. Im Fall Köten scheint der Bundeswehr an einer raschen Aufklärung gelegen. Direkt nach dem Angriff vernahm ein Oberleutnant Opfer und Angreifer. Letzterer bekommt nicht nur dienstrechtlich Druck. Köten stellte bei der Polizei eine Strafanzeige.