Opfer der Aufwertung

PRENZLAUER BERG In kaum einer mitteleuropäischen Stadt leben so viele Fledermäuse wie in Berlin. Ihre bevorzugte Wohnlage sind Altbauquartiere. Doch deren Sanierung und der Ausbau von Rohlingen sind eine Gefährdung

VON JULIANE WIEDEMEIER

Der Anlass für diesen Text wohnt im Hinterhof. Sobald es anfängt zu dämmern, taucht er in Form eines kleinen Tiers zwischen Seitenflügeln und Himmel auf und beginnt mit der Jagd. Permanent die Richtung wechselnd, geht es dann kreuz und quer durch den Hof, manchmal scheint die Kollision mit dem nächsten Fenster unausweichlich. Doch das Echoortungssystem der Fledermaus funktioniert hervorragend.

Irgendwann sind dann genug Insekten erbeutet, und das Tier kriecht zurück in sein Versteck im Dachboden. Denn der ist noch nicht ausgebaut, die Fassade noch nicht saniert. Einst war das in Prenzlauer Berg der Standard. Mittlerweile ist die Sanierungswelle bis weit außerhalb des S-Bahn-Rings vorgedrungen. Dabei werden nicht nur Häuser entkernt und Fassaden neu verputzt, sondern auch immer mehr Dachrohlinge ausgebaut. Die Folge – steigende Mieten und Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung – ist als Gentrifizierung bekannt, Prenzlauer Berg ist ihre Hochburg. Wenig beachtet wird dabei allerdings, dass auch für Fledermäuse mit ihre Vorliebe für lose Dachpfannen und Löcher im Putz der Wohnraum zunehmend knapp wird.

Derzeit leben fast zwanzig verschiedene Arten in der Stadt. In Prenzlauer Berg sind vor allem die kleinen Zwerg- und Breitflügelfledermäuse zu Hause. Wie viele es insgesamt sind, hat bislang niemand zählen können. Allein in der Spandauer Zitadelle überwintern jährlich etwa 11.000 Tiere – und sie ist nur eines von über 30 Winterquartieren für Fledermäuse in ganz Berlin.

Im Sommer leben sie verteilt über die Stadt in Parks, Straßenbäumen oder eben in Prenzlauer Berger Altbauten. „Je maroder ein Gebäude ist, desto besser ist es für die Fledermäuse“, erklärt Klemens Steiof, der bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für Naturschutz zuständig ist. Seit Ende der 1980er Jahre kümmert sich die Verwaltung um den Schutz der Fledermäuse. Damals erkannte man, dass Berlin eine für eine Großstadt erstaunliche Anzahl zu bieten hatte. Die wollte man erhalten. Schließlich stehen diese Tiere unter Naturschutz.

Folglich muss auch bei Sanierungen auf die kleinen Mitbewohner Rücksicht genommen werden. Per Gesetz ist vorgegeben, dass bei Baumaßnahmen ihre alten Quartiere erhalten oder neue eingerichtet werden müssen. Dafür gibt es zum Beispiel spezielle Dachziegel, in denen kleine Höhlen integriert sind. Alternativ kann man auch sogenannte Fledermausbretter anbringen, die aus nicht viel mehr bestehen als zwei Holzplanken, die im Abstand von etwa zwei Zentimetern miteinander verschraubt werden. „Dieser Ersatz kostet kaum etwas“, sagt Klemens Steiof von der Senatsverwaltung. Die Masse der Fledermausheime verschwände dennoch unbemerkt.

Der Grund dafür ist die etwas schwammige Rechtslage. Zwar sind Bauherren verpflichtet, Rücksicht auf die Tiere zu nehmen. Es muss aber vor Baubeginn nicht kontrolliert werden, ob das Haus fliegende Bewohner hat. Nur wenn ein konkreter Hinweis vorliegt, rückt ein Experte aus und legt fest, was passieren muss. Im Extremfall kann das auch mal einen Baustopp bedeuten, weil eine Fledermaus gerade Winterschlaf hält und dabei nicht gestört werden darf.

Kaum jemand kontrolliert vor Baubeginn

Auf so eine unplanmäßige Verzögerung ist nicht jeder Immobilienbesitzer versessen. Abgesehen von den staatlichen Wohnungsbaugesellschaften, die sich mittlerweile dazu verpflichtet haben, kontrolliert also kaum jemand im Vorfeld, ob Fledermäuse im Haus leben. Darum sind die Tiere auf die Aufmerksamkeit ihrer Nachbarn angewiesen: Wer weiß, dass in seinem Haus Fledermäuse leben und bald Bauarbeiten anstehen, der wendet sich am besten an das Umwelt- und Naturschutzamt im Bezirk.

Tobias Teige vom Berliner Landesverband des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) gehört zu denen, die anrücken, wenn man vor Baubeginn von den Fledermäusen weiß. „Zum einen suche ich mit dem bloßen Auge oder dem Endoskop nach möglichen Quartieren oder Spuren der Tiere“, erklärt er. Am einfachsten sei das, wenn das Baugerüst schon stehe und er an der Fassade entlangwandern könne. „Zum anderen kann ich mich auch abends vor das Haus stellen und einfach in den Himmel schauen.“ Flatternde Fledermäuse übersieht man nicht.

Wird Teige fündig, muss anders als bei menschlichen Sanierungsopfern keine Umsetzwohnung zur Verfügung gestellt werden – darum kümmern sich die Tiere irgendwann selbst: Sie wechseln regelmäßig ihre Unterkünfte. Wichtig ist jedoch, dass sie frühzeitig aus dem zu sanierenden Haus ausziehen: Manchmal reicht schon die Installation einer Dämmplatte, um eine ganze Gruppe Fledermäuse in ihrem Quartier einzuschließen und damit zu töten. „Von so einem Verlust erholt sich die Population nur schwer“, sagt Teige.

Der Nabu-Experte zerstreut auch die Sorgen vor einer Ansteckung mit Tollwut. Dafür sei ein direkter Kontakt nötig. Wer eine Fledermaus anfassen müsse, für den reiche schon ein Handschuh oder ein Tuch als Schutz. Ansonsten bestehe keine Gefahr, schließlich sei die Verwandtschaft mit einem bekannten transsilvanischen Grafen nur eine Legende: „Die Tiere greifen Menschen nicht an.“ Bissverletzungen sind also nicht zu befürchten.

Nicht in Panik verfallen

Wer sich trotzdem erschreckt, wenn eine Fledermaus durchs geöffnete Fenster flattert, dem rät Teige vor allem, nicht in Panik zu verfallen. Türen zu und Fenster auf reiche oft schon. Falls sich das Tier hinter einer Bücherwand oder in einer offenen Vase verschanzt, hilft auch ein Anruf beim bezirklichen Naturschutzamt oder einem der zahlreichen Berliner Fledermausschützer, deren Telefonnummern man leicht ergoogeln kann.

Nur von Notrufen nachts um halb zwei bittet Teige abzusehen. Er klingt dabei, als spreche er aus Erfahrung.