Tanz den Kosmonaut

POP-ART Maler, Comiczeichner, Autor, Musiker, Fotomodell, Designer: Eine Retrospektive in Frankfurt am Main zeigt das Werk des früh verstorbenen 60er-Jahre-Künstlers Uwe Lausen

Uwe Lausens Bilder nehmen den Rebel-Chic der Stadtguerilla vorweg

VON KLAUS WALTER

Uwe Lausen ist früh dran. Er weiß, dass er nicht viel Zeit haben wird. 1941 in Tübingen geboren, der Vater einflussreicher SPD-Politiker. Die Heimat verlässt er früh, aber sie verlässt ihn nie. In seinen Bildern kehrt er immer wieder zurück zum Tatort Wohnzimmer.

Blümchentapeten, wuchtige Polstermöbel, schwere Teppiche, Hakenkreuz-Ornamente. Lausen: „Begreift man die Wohnungen als Widerspiegelung ihrer Bewohner, so muss man sagen, dass etwas in ihren Persönlichkeiten überhaupt nicht in Ordnung ist.“ Hier wohnen verstümmelte, zerschredderte, asynchron zerlegte Körper, blutige Fleischklumpen, Torsi. Notdürftig hält eine strukturelle Gewalt die Nachkriegsfamilie zusammen. Reale, unkontrollierte Gewalt kann jederzeit ausbrechen. Wieder hochkommen aus den Kellern und Verliesen, wo man sie 1945 versteckt hat. Verdrängtes bricht sich Bahn. Eine unheimliche Gewalt brodelt in diesen Bildern, kaum ein älterer Mann ohne Waffe.

Mit neunzehn verlässt Lausen das elterliche Gefängnis. In München findet er Kontakt zu Situationisten und der Gruppe Spur, Vorläufer des Subversiven Aktion. Getrieben von einem (ego)manischen Entdeckerwillen und antiautoritär grundierter Einflussangst, saugt er auf, was ihm in den Weg kommt. Kunst, Musik, Drogen, Sex. Sobald er einer künstlerischen Strömung zugerechnet wird, holt er zum Befreiungsschlag aus. Nix Pop-Art, nix Kapitalistischer Realismus. „Mein Leitbild: Gagarin“ nennt er 1962 ein Gemälde, sein Leitbild ist der Kosmonaut, der den Wettlauf ins All für die Sowjets gewonnen hat – politische Provokation und Absage an Leitbilder. Kill Your Idols. Attitüden der Punk-Ära nimmt er öfter vorweg, auch Sampling-Techniken, Stichwort Copyleft. Im Do-it-yourself-Modus eignet er sich die Welt mit allen verfügbaren Mitteln an.

Der Autodidakt lässt sich auf keine künstlerische Disziplin festlegen – im doppelten Sinn des Wortes. Lausen ist Maler, Comiczeichner, Autor, Musiker, Fotomodell, (Selbst-)Designer. 1962 wird er wegen Gotteslästerung, Religionsbeschimpfung und Verbreitung unzüchtiger Schriften verurteilt. Mit den Gewaltmitteln des Staates macht er früh Bekanntschaft. Die sprachlose Gewaltförmigkeit der Nachkriegs-BRD springt einem aus seinen Bildern entgegen: schlagende, schießende, herrische Männer, geschlagene, deformierte, oft auf ihr blutiges Geschlecht reduzierte Frauen, Landschaften aus Fleisch und Blut. Man möchte lieber nichts wissen von der Kindheit in Tübingen.

Mit der Erschießung des Demonstranten Ohnesorg durch den Polizisten Kurras am 2. Juni 1967 wird die Gewalt in Lausens Arbeit politisch eindeutiger, er zeigt Täter und Opfer: Bullenschweine versus glamouröse Fighter. Diese Bilder nehmen den Rebel-Chic der Stadtguerilla vorweg. Mit der Fotografin Heide Stolz inszeniert er Fotoserien, die Godard zu „One plus one“ inspiriert haben könnten, seinen Film mit den Rolling Stones. Nach dem dystopischen Sog dieser Fotos strecken sich heute die Modeseiten von de:bug und Spex, vergeblich.

Star der Fotos ist Lausen selbst, verführerischer Bastard aus James Dean und Andreas Baader in seinen androgynsten Posen, inszeniert mit dem liebenden Blick der Fotografin Heide Stolz. Die ist nämlich Lausens Ehefrau und Mutter der beiden Töchter. Kaum der Familie entflohen, gründet der Familienhasser selber eine Family im Dreieck Kunst-Drogen-Sex, alles inklusive: „Homosexualität, mal totale Sexualität“, notiert er.

Die Kritikerin Margrit Brehm rückt Lausen in die Nähe der (Post-)Beat-Generation und zitiert Leslie A. Fiedlers „Die neuen Mutanten“. Der spricht von „einer antipuritanischen, distanzierten, hedonistischen Existenzweise: eine Strategie im Krieg gegen Arbeit und Zeit“. Hedonismus und Krieg denkt Lausen nicht als Widerspruch, sondern zusammen, dialektisch. So in der Zeichnung „Fröhlicher Sadismus“ aus dem Gewaltjahr 67. Ein Polizist knüppelt ein paar Rebeltypen, an der Wand steht: „Make Love AND War“.

Lausens Version der epochalen Hippie-Parole. Liebe machen, klar, aber darüber den Krieg nicht vergessen, den Krieg gegen diejenigen, die die Liebe zerstören. „Ich bin’s nur, Euer Sohn“ zeichnet das Bild der Familie als Terrorzusammenhang. Der Sohn reißt die Tür auf, die erschrockenen Eltern starren ihn an wie einen Killer. „In den Komfortwohnungen steigt die Kurve derer, die aus dem Leben scheiden“, schreibt Lausen schon in den frühen Sechzigern. Nach dem Ohnesorg-Mord produziert er Buttons mit Parolen wie „Kill for Fun“ und „Töte mit ULAU“. Am 14. September 1970 kehrt der Sohn zum Töten ins Elternhaus zurück. Mit 29 Jahren nimmt sich Uwe Lausen das Leben. Er hinterlässt ein auf faszinierende Weise über Gattungs- und Disziplingrenzen wucherndes Werk aus dem beschleunigten Jahrzehnt.

■ Bis 13. Juni, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main