Eine Frage des Abstands

GEDENKEN In Eutin streiten Stadt und Denkmalpflege um den Abstand zwischen Maibaum und einem Ehrenmal für die Kriegstoten von 1870/71. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat der Denkmalpflege Recht gegeben – doch die Stadt will das Urteil vorerst nicht hinnehmen

„Es ist ein Kriegsdenkmal für einen gewonnenen Krieg“, sagt der Bürgermeister

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Nein, sagt Berthold Köster, er habe keine Lust, sich den Maibaum auf dem Eutiner Marktplatz anzusehen. Ginge es nach ihm, dem Mann vom Landesamt für Denkmalpflege in Kiel, dann stünde dort kein Maibaum, zumindest nicht so nahe an dem Denkmal für die gefallenen Soldaten des deutsch-französischen Krieges 1870 / 1871. Die Stadt Eutin findet, dass sich der Maibaum und das Denkmal gut vertragen und sie findet vor allem, dass sie Platz braucht für die vielen Marktstände.

Man könnte sagen, dass der Streit um den Eutiner Maibaum sehr überschaubar ist, sozusagen unter 10 Meter, denn es geht um eine Bodenhülse zum Aufstellen des Baums, die nicht einmal einen halben Meter Durchmesser hat und um einen Abstand von sechs Metern. Man könnte auch sagen, dass es um die Frage geht, was angemessenes Gedenken ist. Und woran man sich erinnern möchte.

Wegen Berthold Kösters Unwillen, sich den Maibaum anzusehen, könnte man annehmen, dass das Landesamt für Denkmalpflege den Kürzeren gezogen hat in diesem Streit. Tatsächlich hat ihm das Verwaltungsgericht Schleswig Recht gegeben. Die Stadt brauche eine Genehmigung der Denkmalpflege, um den Maibaum aufzustellen, hat die Richterin erklärt. Aber dann hat die Stadt noch rechtzeitig Berufung gegen das Urteil eingelegt und damit konnte sie den Maibaum in diesem Jahr wie geplant aufstellen.

Berthold Köster ist sehr freundlich am Telefon, obwohl seine Kollegen bereits ein bisschen stöhnen, wenn man anruft und nach dem Maibaum fragt. Er sagt, dass es in der Stadt jede Menge Kulturgüter gebe, dass es dort „absolut zauberhaft“ sei und der Marktplatz einer der schönsten Norddeutschlands. Und nein, er sei keineswegs gegen Maibäume – übrigens ein aus Süddeutschland importierter Brauch, gerademal zwanzig Jahre alt, sagt Herr Köster –und dass ein Marktplatz belebt sein solle, das sehe er auch so. Aber das Denkmal für die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges, und ab hier ist Herr Köster nicht mehr einig mit Eutin, brauche „eine gewisse Aura“ und ein Maibaum, der in der Vergangenheit auch schon dreimal höher gewesen sei als der Obelisk, sei dem „nicht angemessen“.

Zwar gibt es seit 100 Jahren staatliche Denkmalpflege und seit 1958 auch ein Denkmalschutzgesetz, aber auch das hat nicht erfasst, was angemessenes Gedenken ist, zumindest nicht in Mindestabständen. Vielleicht waren die denkmalpflegerischen Bedenken der Stadt Eutin auch deshalb „nicht zu vermitteln“, das ist „ein bisschen blöde“, sagt Herr Köster. Ursprünglich war gar nicht er, sondern das Amt vor Ort mit der Frage befasst, aber als es auf dem kleinen Dienstweg nicht gelang, die Stadt zu überzeugen, musste auch er sich mit der Materie befassen und schließlich das Verwaltungsgericht. Das ist nicht das täglich Brot des Denkmalschutzes, aber Herr Köster hat durchaus Verständnis dafür, dass die Stadt das Gericht bemüht: „Man muss nicht alles akzeptieren, was eine Behörde verfügt.“

Klaus-Dieter Schulz, der CDU-Bürgermeister von Eutin, muss gleich zum nächsten Termin und hat nur wenig Zeit am Telefon für den Maibaum-Streit, eine „funktionale Frage“, wie er sagt. Das Funktionale ist der „sehr florierende Wochenmarkt“ und in der Adventszeit eine vier Meter hohe Rodelbahn, um die Herr Schulz fürchtet. Die 30 bis 40 Quadratmeter, die man einbüße, wenn die Bodenhülse aus dem Beet um den Obelisken herausgeholt werde, brächten den Markt, so rechnet Herr Schulz, in Bedrängnis. Um all dies grundsätzlich zu klären, sei die Stadt vor Gericht gezogen. Aber das Tischtuch zur Denkmalpflege sei nicht zerschnitten, schließlich sei man nicht „in irgendwelchen Privatkriegen“. Und versteht man den Bürgermeister richtig, so ist der Gang in die nächste Instanz in gewisser Hinsicht nur eine Folge übergroßer Zuversicht. Denn der Markt zum 1. Mai und der folgende verkaufsoffene Sonntag seien längst geplant gewesen, und zwar mit der gesamten Fläche, als die Stadt zur eigenen Überraschung den Prozess verlor.

Sicher ist, dass in Eutin weiterhin ein Weihnachtsbaum aufgestellt werden soll. „Ein Markt ohne Weihnachtsbaum – dann sagen die Leute: Ihr seid wohl verrückt“, meint der Bürgermeister. Das sagen einige Eutiner bereits jetzt, aber sie sagen es vornehmlich zu Denkmalpfleger Köster. Der bekam einige E-Mails, die „heftig“ gewesen seien und, so formuliert er es vorsichtig, „ihm nicht bescheinigten, dass die Argumentation nachvollziehbar“ sei. Selbst die Bürgergemeinschaft Eutin, die sich um Geschichtliches in der Stadt sorgt, hat sich auf die Seite des Bürgermeisters geschlagen. Der Obelisk sei doch bewusst ins Herz der Stadt gestellt worden, sagte seine Sprecherin Regine Jepp der örtlichen Zeitung. Da sei weniger der Maibaum gedenkhinderlich, sondern die schmutzigen Rabatten rund um das Denkmal.

Der Bürgermeister findet ohnehin, dass der Obelisk für ein sehr spezielles Gedenken steht. „Es ist ein Kriegsdenkmal für einen gewonnenen Krieg“, sagt er. Regine Jepp nennt es die „Katastrophe des deutsch-französischen Krieges“ und Denkmalschützer Köster „das erste Mal, dass sich Holsteiner von Dänemark entfernt haben“. Das andere Gedenken findet in Eutin weiter weg statt, im Schlosspark. Da erinnern Bronzeplatten an die gefallenen Soldaten des ersten und zweiten Weltkriegs. Vor ein paar Jahren, als die Stahlpreise brummten, haben Unbekannte die Platten gestohlen. Da hat die Bürgergemeinschaft Geld gesammelt, um neue anzubringen, so wie vor über hundert Jahren ein anderer Bürgerverein Geld für den Obelisken gesammelt hat. „Da haben alle super zusammengearbeitet“, sagt Elke Klopp von der Bürgergemeinschaft.

Vielleicht wird mit dem Obelisken auch noch alles gut. Der Bürgermeister will mit der Denkmalpflege nach einem anderen Ort für den Mai- und den Weihnachtsbaum suchen. „Vielleicht“, so sagt er, „finden wir ja beim dritten Draufschauen einen vernünftigen Ort.“