Der weibliche Don Quichotte

Bei der EU ist Monica Macovei fast eine Ikone osteuropäischen Reformwillens

AUS BUKAREST KENO VERSECK

Es ist Abend, sie wird lange bleiben und wohl wieder die Letzte sein im Ministerium, abgesehen vom Chauffeur, dem Nachtwächter und dem Sicherheitspersonal. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und liest in Papieren, auf die eine Hand stützt sie ihren Kopf, in der anderen hält sie eine Zigarette. Sie hat tiefe dunkle Ringe unter den Augen, sie wirkt, als ob sie vor Erschöpfung gleich einschläft.

„Ach so, ja“, seufzt sie anstelle einer Begrüßung. Sie hatte den Gesprächstermin vergessen. Unkonzentriert überfliegt sie noch eine Akte, dann ist sie bereit für das Gespräch. Sie vernimmt die Fragen wie durch einen Schleier. Manche vergisst sie sofort wieder, man muss sie wiederholen.

Es war ein gewöhnlicher Tag für die rumänische Justizministerin Monica Macovei, 47. Sie hat ihn zum größten Teil in dem Gebäude gleich gegenüber vom Ministerium verbracht, in Ceaușescus gigantomanischem „Haus des Volkes“, heute der rumänische Parlamentspalast. Mit den Abgeordneten hat sie über einen ihrer Gesetzesvorschläge diskutiert, einen, bei dem es darum geht, Volksvertretern und Regierungsfunktionären bestimmte rechtsanwaltliche Nebentätigkeiten zu untersagen. Eine Maßnahme, die der Korruption vorbeugen soll. Wie so oft haben die Abgeordneten sich lustig gemacht über sie, auch die der Regierungskoalition. Sie hat es über Stunden ertragen, hat geworben für ihren Entwurf, ihn erklärt, in manchen Augenblicken schroff und spitz, meistens ruhig. Am Ende ging sie verbittert. Im Vorbeieilen rief sie den Reportern zu, dass sie an Rücktritt denke.

Jetzt, am Abend, hat sie sich wieder etwas gefangen. Gegen ihre Müdigkeit ankämpfend, bringt sie einen eher besonnenen Satz heraus: „Noch habe ich Unterstützung in der Koalition und im Kabinett. Aber es gibt Stimmen, die lauter werden und die sagen: „So schlimm ist es nun auch wieder nicht, wir brauchen doch gar keine so strikten Maßnahmen.“

Monica Macovei, eine liberale Intellektuelle, renommierte Anwältin und ehemalige Menschen- und Bürgerrechtsaktivistin, kämpft gegen die Korruption in ihrem Land. Es geht nicht um irgendwelche Scharmützel und um dieses oder jenes Gefecht. Es ist der Kampf gegen fast ein halbes Jahrtausend Geschichte, gegen die langlebigste und verbreitetste Tradition aller jeweiligen rumänischen Eliten. Die Tradition von Seilschaften und Clans, die politische Ämter für private ökonomische Interessen missbrauchen und sich in ihrem Land aufführen wie Feudalherren. Es ist der Kampf überhaupt. Der gegen das „verruchte System“, wie es kürzlich der rumänische Staatspräsident Traian Băsescu nannte.

Viele skeptische Kommentatoren im Land sehen es als aussichtslose Mission an, was die Justizministerin sich vorgenommen hat. Sie nennen Monica Macovei ein wenig bewundernd, aber mehr noch abfällig den „weiblichen Don Quichotte“ Rumäniens. Unter rumänischen Politikern ist sie die meistgehasste Vertreterin der Regierung, im Ausland hingegen, vor allem bei der EU, fast eine Ikone osteuropäischen Reformwillens.

Noch vor wenigen Monaten stand der EU-Beitritt Rumäniens zum 1. Januar 2007 auf der Kippe, vor allem wegen mangelnder Anstrengungen und Ergebnisse beim Kampf gegen die Korruption. Das hat sich geändert. Am 16. Mai, wenn die EU-Kommission ihren neuen Fortschrittsbericht zu Rumänien veröffentlicht, wird sie voraussichtlich den Beitritt des Landes zu diesem Termin empfehlen, wenn auch mit strengen Auflagen. Dass der Beitritt nicht verschoben wird, ist in wesentlichen Teilen das Verdienst von Monica Macovei.

Schon wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt Ende 2004 machte sie klar, dass ab sofort auch die „großen Fische“ an der Reihe sein würden beim Kampf gegen Korruption und bei der von der EU seit Jahren geforderten Justizreform. Im Januar letzten Jahres setzte sie durch, dass gegen ehemalige Regierungsmitglieder ermittelt werden kann, ohne dass das Parlament vorher deren Immunität aufheben muss.

Seither folgten fast monatlich neue Antikorruptionsgesetze und -maßnahmen. Beispielsweise wurde die Kontrolle über das Vermögen von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern sowie dessen Herkunft drastisch verschärft, die Möglichkeit einer Nebentätigkeit von Volks- oder Regierungsvertretern mehrfach eingeschränkt und die Parteienfinanzierung neu geregelt. Dutzende Gesetzesentwürfe wie etwa das über Lobbyarbeit, Sponsoring oder für größere Vollmachten des Rechnungshofs liegen dem Parlament vor.

Zugleich räumte Monica Macovei bei Ermittlungsbehörden und Gerichten auf. Sie ließ Dutzende korruptionsverdächtigter Staatsanwälte feuern und führte ein, dass den Gerichten ihre Fälle mit Hilfe eines Computersystems zufällig zugeteilt werden, um die Einflussnahme von Richtern auf den Prozessverlauf einzuschränken – eine in Rumänien sowohl in Zivil- als auch in Strafrechtsprozessen weit verbreitete Praxis. Auch das Strafgesetzbuch mit seinen berüchtigt hohen Strafmaßen für „kleine Fische“ und „Eierdiebe“ wurde überarbeitet und wartet nun auf das Parlamentsvotum. Und schließlich löste Monica Macovei auch den umstrittenen Justizgeheimdienst SIPA auf, berüchtigt sowohl für Korruptionsaffären seiner Mitarbeiter als auch für Willkürakte in rumänischen Gefängnissen. Das zweifellos größte und heikelste Vorhaben Monica Macoveis trägt den etwas verqueren Namen Nationale Antikorruptionsdirektion (DNA). Im August letzten Jahres ließ sie die unabhängige Ermittlungsbehörde gründen, die Korruptionsfälle und andere kriminelle Delikte ausschließlich bei Politikern und Staatsbeamten untersucht. Im Februar dieses Jahres stimmte das rumänische Parlament überraschend für die Auflösung der Behörde – ein Teil der rechtsliberalen Regierungskoalition schlug sich dabei auf die Seite der im Dezember 2004 abgewählten wendekommunistischen Sozialdemokratischen Partei (PSD), die sich mit besonders vielen Korruptionsskandalen hervorgetan hat. Erst nachdem Staatspräsident Traian Băsescu ein umständliches juristisches Räderwerk in Gang gesetzt und die EU-Komission indirekt mit der Verschiebung des EU-Beitritts gedroht hatte, nahm eine Mehrheit der Abgeordneten widerwillig das Votum zurück.

Was rumänische Politiker zu verlieren haben und warum sie die Justizministerin hassen und fürchten, zeigt der Fall des ehemaligen PSD-Regierungschefs Adrian Năstase, bis vor kurzem noch Parlamentspräsident und damit die Nummer zwei im rumänischen Staat. Gegen ihn wird seit Jahresanfang wegen eines dubiosen Immobiliengeschäfts ermittelt. Er soll 1998 in Bukarest ein 700-Quadratmeter-Grundstück für 11.000 Dollar gekauft haben, das in Wirklichkeit 25-mal so viel wert war. Vorbesitzer des Grundstücks war Năstases Parteifreund Gabriel Bivolaru gewesen, der wegen betrügerischer Bankgeschäfte zurzeit eine Haftstrafe verbüßt. Năstase hatte Bivolaru vor Jahren dabei unterstützt, die Strafverfolgung gegen ihn hinauszuzögern. Auf dem Grundstück hatte Năstase einen luxuriösen Apartmentbau errichten lassen. Das Parlament weigerte sich im März mehrmals, einer Hausdurchsuchung in Năstases Wohnung zuzustimmen. Auf Druck seiner Partei ist er inzwischen von seinen Ämtern zurückgetreten.

Auch in den Reihen der Regierungskoalition ermittelt die Antikorruptionsbehörde DNA. Gegen Rumäniens Vizeregierungschef George Copos, einen der reichsten Geschäftsleute Rumäniens, läuft ein Verfahren wegen Steuerbetrugs und Amtsmissbrauchs, gegen den Mineralöl-Magnaten und liberalen Politiker Dinu Patriciu eines wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Betrugs. Brisant für die Regierung: Patriciu soll 2004 Parteifreunde vorab über den Börsengang seines Konzerns Rompetrol informiert haben. Käufer von Rompetrol-Aktien, die damals in nur wenigen Stunden ein Vielfaches an Wert gewannen, war unter anderem der jetzige liberale Regierungschef Călin Popescu-Tăriceanu.

In dieser Szenerie, in dem „verruchten System“, das Monica Macovei nun seit knapp anderthalb Jahren von innen her umzukrempeln versucht, wirkt sie wie eine völlig Fremde. Sie ist allein erziehende Mutter, sie hat keinen Clan aus Parteifreunden und Familienangehörigen zu bedienen. Sie ist kühl und spröde, präzise und wortkarg. Bei öffentlichen Auftritten kann sie ihre Verletzlichkeit, ihre Enttäuschung oder ihre Empörung oft nicht verbergen, manchmal ist sie geradezu ungeschickt ehrlich. Sie wirkt bleischwer ernsthaft in einer politischen Kultur, in der mit größter Leichtigkeit die unmöglichsten Kompromisse, Händel und Allianzen geschlossen werden.

Manchmal scheint sie von solchen Verhältnissen überrascht, so als ob sie sie nicht lange genug kenne. „In den Augenblicken, in denen wir von der Strategie zur Anwendung und vom Papier zur Praxis schreiten“, sagt sie mit fast kindlicher Verblüffung, „in dem Augenblick, in dem wir die großen Korruptionsfälle aufrollen, da verhalten sich viele Politiker plötzlich anders als in ihren Erklärungen.“