Bio boomt in Berlin – und wandelt sich

KONKURRENZ Das Geschäft mit ökologischen Lebensmitteln in Berlin und Brandenburg wächst beständig. Das ist vor allem der zunehmenden Ausbreitung großer Bioanbieter zu verdanken. Die klassischen kleinen Naturkostläden behaupten sich in der Nische

■ Die FÖL gibt jährlich einen kostenlosen Bioeinkaufsführer mit sämtlichen Adressen in Berlin und Brandenburg heraus, in dem Naturkostläden, Biosupermärkte, Hofläden oder auch Bezugsquellen für Bio-Abokisten gelistet werden, die Broschüre gibt es auch online.

■ Alle zwei Wochen erscheint zudem ein kostenloser Newsletter mit Infos zu Neueröffnungen und Veranstaltungen.

■ „Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau in Berlin-Brandenburg e. V.“ (FÖL), Marienstr. 19/20, 10117 Berlin, Tel. 28 48 24 40, www.bio-berlin-brandenburg.de

■ Lylla-Biomarkt, Seelingstr. 18, 14059 Berlin-Charlottenburg, Tel. 321 63 99, www.lylla-biomarkt.de (mp)

VON MICHAEL PÖPPL

Gleich zu Beginn fällt die Gretchenfrage: „Und wo kaufst du deine Biowaren?“ Das schlechte Gewissen verhaspelt sich: „Ähm, meistens auf dem Wochenmarkt, wenn ich Zeit habe. Oder im Supermarkt, wenn es schnell gehen soll.“ Ganz befriedigend ist die Antwort für Verena Hanke wohl nicht, aber sie ist noch einmal gnädig mit dem Autor. Sie betreibt den Lylla-Biomarkt im Charlottenburger Danckelmannkiez. Seit 1985 ist sie im Geschäft, das aus einer Food-Kooperative hervorgegangen ist. Von den Begründerinnen ist nur noch Hanke dabei, doch bis heute arbeitet die Belegschaft im Kollektiv. Das Geschäft selbst hat sich erheblich verändert: Aus dem klassischen „Müsliladen“ der 80er, wie man sie in ganz Westberlin fand, wurde ein moderner Naturkostladen, der neben Obst, Gemüse und Brot auch Tiefkühlwaren, Biobier, Konserven, Naturkosmetika und Babywindeln verkauft.

Das Terrain rund um den kleinen Laden ist schwer umkämpft, zwei Biosupermärkte befinden sich im Umkreis von einem Kilometer Entfernung. Ein dritter hat gerade eröffnet, keine zwei Straßen weiter, fast an der Ecke, wo sich vor Kurzem noch Hankes Geschäft befunden hatte: Nach mehr als 25 Jahren passte den Eigentümern des ehemals besetzten Hauses der Bioladen nicht mehr ins Gesamtkonzept. Traditionelle inhabergeführte Naturkostläden, um die 70 gibt es noch in Berlin, haben einen schweren Stand: Die Gewerbemieten in der Innenstadt steigen und die Konkurrenz ist inzwischen überall. Neue Biosupermärkte findet man inzwischen in jedem Stadtteil, zudem gehören Bioprodukte zum Vollsortiment im konventionellen Einzelhandel, auch Discounter wie Lidl oder Aldi fahren ihre eigene Ökoschiene.

Das Geschäft mit ökologischen Produkten in der Hauptstadt und im Umland wächst seit Jahren rasant, allein 2012 stieg der Umsatz der Branche erneut um über 8 Prozent und liegt damit sogar leicht über dem Bundesdurchschnitt. Nach Schätzungen der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau in Berlin-Brandenburg e. V. (FÖL) wurden 2012 in der Hauptstadtregion allein im Fachhandel insgesamt mehr als 290 Millionen Euro für Biowaren umgesetzt. Der Verein kümmert sich um Verbraucherinformation und Öffentlichkeitsarbeit für die regionale Branche, rührt die Werbetrommel rund ums Thema Bio und vertritt gleichzeitig die Interessen der Erzeuger, Verarbeitungsbetrieben und Händler.

„Der starke Zuwachs auf dem Ökosektor ist vor allem den neuen Biosupermärkten zu verdanken“, sagt Michael Wimmer, der Geschäftsführer der FÖL. Es seien nicht mehr wie früher konventionelle Lebensmittelskandale, die die Menschen plötzlich zu ökologischen Lebensmitteln greifen lassen, sondern vor allem der leichtere Zugang zu Bioprodukten. „Die Strukturen der Branche sind erheblich professioneller und schlagkräftiger geworden“, sagt Wimmer, „die Standortwahl, die Finanzierung oder die Ladeneinrichtung wird von Spezialisten betrieben, das Angebot wird nach klassischen wirtschaftlichen Erhebungen ermittelt.“ In Berlin sei die Situation ohnehin einmalig, es vergehe kein Monat, so Wimmer, „in dem nicht irgendwo in der Hauptstadt der Biosupermärkte eine neue Filiale aufmacht“. Mehr als 60 Biosupermärkte gibt es bereits in Berlin, 2006 waren es noch um die 20. Marktführer ist mit über 30 Niederlassungen die örtliche Bio Company, dazu kommen Filialen von viv und solchen überregionalen Anbietern wie denn’s, Basic oder Alnatura. Die Berliner LPG, die ihr Geschäft einst als Einkaufsgenossenschaft in einem Neuköllner Lagerraum begann, hat inzwischen sechs Märkte im Stadtgebiet, in denen die über 20.000 Mitglieder vergünstigt einkaufen können. Zwei neue Filialen sind in Vorbereitung.

Die Nachfrage nach Bioprodukten ist stärker als das Angebot aus der Hauptstadtregion, auch wenn sich der hiesige Ökolandbau erfolgreich entwickelt hat. 1992 gab es gerade mal 63 ökologisch wirtschaftende Betriebe in Berlin und Brandenburg, 20 Jahre später sind es bereits über 1.000. Leider immer noch zu wenige, meint Michael Wimmer, denn das Biosiegel allein reiche nicht fürs gute ökologische Gewissen. „Klar kann man auch Bioäpfel aus Argentinien oder Bioerdbeeren aus Spanien essen, aber Nachhaltigkeit entsteht vor allem auch durch den saisonalen Verbrauch regionaler Produkte.“ Einen Großteil des wachsenden Biolandbaus schiebt die steigende Nachfrage an.

Supermärkte ziehen neue Kunden an, aber die Zahl der kleinen Läden bleibt stabil

Die Förderung der ökologischen Landwirtschaft sei aber auch eine Frage des politischen Willens, so Wimmer, und gerade da fehle es noch an vielem: „Brandenburg ist zum Beispiel das einzige Bundesland, das die vergangenen drei Jahre umstellungswilligen Betrieben keine Förderung der zweijährigen Umstellungszeit gewährt hat.“ Doch in vielen Bereichen zeigt die Arbeit der Biolobbyisten erste Erfolge: Seit 2011 sind in Münchehofe, Lobetal und Brodowin drei neue Biomolkereien am Start, die die steigende Brandenburger Biomilchproduktion verarbeiten. Wimmer ist stolz auf diesen überall sichtbaren Erfolg: „Wenn Sie in Berlin regionale Biomilch kaufen, dann stammt sie aus einer dieser drei Molkereien, egal ob sie bei Kaiser’s, Penny oder im Bioladen steht.“

Und was ist nun mit den rund 70 kleinen Bioläden, die es in Berlin noch gibt? Werden die wegen der Großen nicht allmählich vom Markt verdrängt? Bioexperte Wimmer ist eher zuversichtlich: „Die großen Supermärkte ziehen, das zeigen neueste Umfragen, zu 80 Prozent Kunden an, die bisher mit Ökoprodukten nicht viel am Hut hatten oder nach Feierabend den Umweg in den Biosupermarkt gescheut haben. Aber die Anzahl der kleinen Naturkostläden bleibt stabil, wie man auch in unserem Bioeinkaufsführer sehen kann. Alle, die die letzten fünf, sechs schwierigen Jahre überstanden haben, haben ihre Nische gefunden.“

Verena Hanke vom Lylla-Biomarkt kämpft weiter. Sie gibt sich verhalten optimistisch, trotz der großen Konkurrenz: „Wir müssen natürlich noch mehr Werbung für uns machen. Aber wir sind etwas ganz Besonderes im Kiez mit unserem ganz persönlichen Service, unserem netten Café und dem besonderen Angebot, viele unserer Produzenten kennen wir persönlich. Und zu uns kommen die Kunden auch, um sich zu treffen und miteinander zu quatschen. Man kennt uns einfach. Das können die großen Supermärkte nicht toppen.“