Die Hatz geht weiter

Der heutige Tag der Pressefreiheit schert den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko nicht. Keine Methode ist ihm zu schmutzig, um unbotmäßige Zeitungen und TV-Sender aus- oder gleichzuschalten

VON BARBARA OERTEL

„Unsere Zeitung machen sie wohl als Nächstes dicht“, sagt Maxim (*), ein junger Journalist aus der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Maxim arbeitet bei der Komsomolskaja Prawda, einer russischen Zeitung, die in Weißrussland in einer täglichen Auflage von 48.000 Exemplaren erscheint. Noch erlaubt sich das Blatt, Missstände anzuprangern und die Staatsmacht zu kritisieren. Doch habe das zuständige Minsker Ministerium bereits in Moskau angerufen und dazu aufgefordert, den Vertrieb des Blattes in Weißrussland zu unterbinden, erzählt Maxim.

Die Befürchtung, dass auch die Komsomolskaja Prawda bald zum Schweigen gebracht werden könnte, ist nur allzu berechtigt. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Jahre 1994 hatte der autoritäre Staatspräsident Alexander Lukaschenko regierungskritische Medien zu Feinden erklärt. Dem Regime war fortan keine Methode zu schmutzig, um unbotmäßige Sender und Zeitungen aus- oder gleichzuschalten. Mal verhängten Gerichte wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in der Buchführung horrende Geldstrafen, mal traf das gleiche Schicksal einzelne Journalisten. Die wurden wegen Verletzung der persönlichen Ehre und Würde von Politikern oder Verbreitung falscher Informationen verurteilt. In ihrem Kampf gegen kritische Medienstimmen schreckten Lukaschenko und seine Handlanger angeblich auch nicht vor dem Äußersten zurück: Insider behaupten, dass der 2000 verschwundene Dmitri Zawadski, Kameramann des russischen Fernsehsenders ORT, auf Befehl von ganz oben aus dem Weg geräumt wurde.

Im vergangenen Oktober untersuchte die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) den Zustand der Medien- und Pressefreiheit in 166 Staaten. Weißrussland, dessen Präsident Lukaschenko von RSF seit Jahren auf der Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ geführt wird, landete auf dem 152. Platz und scheint dieses Ergebnis künftig noch unterbieten zu wollen. So verweigerte der staatliche Postdienst Belpotschta mehreren unabhängigen Blättern die Auslieferung ihrer Zeitungen an Abonnenten. Staatliche Druckereien kündigten ihre Verträge, privaten Druckereien wurde die Lizenz entzogen. Auch aus den Kiosken verschwanden oppositionelle Medien – dank der effektiven Bemühungen des Staatsbetriebs Belsojusdruck, der das Vertriebsmonopol innehat.

Dagegen erlebte die staatstragende Zeitung Belarus segodnja, die mit Vorliebe begeistert Luschenko zujubelnde Menschen abbildet, einen ungeahnten Aufschwung. Ihre Auflage stieg von 200.000 auf 500.000 Exemplare täglich, wobei vor allem Provinzbewohner beliefert werden – auch gegen ihren Willen.

Nach den vorgezogenen Präsidentenwahlen am 19. März 2006, die laut internationaler Einschätzung weder frei noch fair waren und Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen bescherten, lief das Regime wieder zu Hochform auf. 26 einheimische und ausländische Journalisten, die über die mehrtägigen Proteste von Regimegegnern gegen den „grandiosen“ Sieg des Amtsinhabers berichtet hatten, wurden zeitweise inhaftiert.

Das vorläufig letzte Opfer der Jagd auf unabhängige Medien wurde die weißrussischsprachige Zeitung Nascha Niwa. Am 18. April und damit kurz vor ihrem 100. Jubiläum versiegelten die Behörden die Redaktionsräume.

Und die Hatz geht weiter. In der vergangenen Woche wurde zwei weißrussischen Journalisten und zwei polnischen TV-Teams die Reise nach Minsk verweigert. Sie wollten über den Protestmarsch anlässlich des 20. Jahrestags der Katastrophe in Tschernobyl berichten. Seit dieser Kundgebung sitzt der Herausforderer Lukaschenkos, Alexander Milinkewitsch, in Haft.

„Den Zeitungen bleibt nur noch, ins Internet zu gehen“, sagt Maxim. „Doch wie viele Leute lesen bei uns im Internet? Das ist der Tod dieser Blätter und damit der letzten unabhängigen Stimmen.“

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