Liebe deinen Müll

ENTSORGUNG Alles rein und zu – das Prinzip Tonne ist von gestern. Heute trennen wir den Müll, nennen ihn Wertstoff. Aber er stinkt trotzdem

■  Grundsatz: Es gibt zwei Philosophien vom Abfall. Die eine sieht Müll als das Unnütze, das übrig bleibt – den stinkenden Rest. Die andere vertritt die Ansicht, bei dem meisten Müll handle es sich um Dinge, die zur falschen Zeit am falschen Ort seien – um Wertstoffe. Beide zusammen bestimmen die Zielhierarchie der Abfallwirtschaft: Vermeidung geht vor Verwertung geht vor Beseitigung.

■  Entscheidung: Das Berliner Abgeordnetenhaus debattiert momentan über die Frage, ob alle Müllschächte in Hochhäusern bis Ende 2013 außer Betrieb genommen werden sollen. Wo es Müllschlucker gebe, werde weniger getrennt, argumentieren Wohnungsbaugesellschaften. Betroffene Mieter und die CDU protestieren: Seinen Abfall im siebten Stock in einen Schacht werfen zu können, bedeute Komfort.

VON JAN FEDDERSEN

In jedem dieser Objekte ist bereits eine Erziehungs-, recht eigentlich sogar eine Zivilisationsleistung geronnen. Eine Tonne, in der Abfälle deponiert werden, symbolisiert die menschliche Leistung, jene Dinge, die er nicht mehr braucht, nicht einfach fallen zu lassen. Etwa Bonbonpapier, Gemüseschalen, Konservendosen oder Zigarettenkippen. Öffentlich gehaltene Tonnen, eher Behältnisse als echte, runde Fässer, sind inzwischen sogar mit Aschenbecher ausgerüstet. Wer also jene Dinge, die Müll sind, Abfall und Unrat, nicht mehr ausschmutzt, auf dass die Umwelt zu einer einzigen Müllhalde werde, hat bereits sich zu zähmen gelernt. Denn zweifellos wäre das einfache Fallenlassen leichter und bequemer.

Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts begann schließlich eine neue Ära der Zivilisierung des schmutzenden Menschen, man darf sie Ökologisierung unseres Alltags nennen. Bis in jene Jahre trugen fast alle Mülleimer noch die Aufschrift „Keine heiße Asche einfüllen“. Jungen BürgerInnen, die den Sinngehalt dieses Satzes heute nicht mehr entziffern können, sei gesagt: Man warnte davor, in die Tonnen die womöglich noch glühenden Reste des Heizungs- und Herdbrennstoffs zu packen. Damals dominierten noch nicht Zentralheizungen in den Häusern und Heimen, sondern Kohleöfen. Und die Asche sollte die Mülleimer nicht tückisch lodernd in Brand setzen.

Aber in jenen Jahren, vor vier Dekaden, wurden noch ganz andere Erziehungsleistungen abgefordert – das Wort dafür ist „Mülltrennung“. Plötzlich sollte nicht mehr alles in eine Tonne entsorgt werden, sondern in diverse. In Küchen brauchte es plötzlich mehr Platz: Das eine Behältnis durfte nur organischen Abfall enthalten, das andere lediglich Plastik und anderes wiederverwertbares Zeug, schließlich gab es noch eine dritte Tonne, in die der sogenannte Restmüll gehört. Papier, Pappe sowie Glas hatten ohnehin – moralisch-ökologisch – extra gesammelt zu werden.

Und hier begann das Problem, und es währt bis heute. Mülltrennung nervt die meisten Menschen, sie erfordert Zeit und Akkuratesse. Muss man aus dem Papier die Heftklammern entfernen? Müssen Milchtüten vor der Tonnenentsorgung ausgewaschen werden? Sind Metalldeckelchen mit Plastikaufklebern Restmüll oder doch kostbar-recycelbar?

Besonders resistent gegen die womöglich wichtige Anforderung der Mülltrennung sind freilich Menschen, die die Müllentsorgung in Hochhäusern gelernt haben. In Häuser mit mehr als drei Geschossen baute man seit den Fünfzigerjahren gern Müllschlucker ein. Das war vor allem für Menschen bequem, die, beispielsweise, im 17. Stock wohnten. Sie brauchten nur auf ihren Etagenflur zu gehen, um ihre Tonne in ein sich meist neben dem Fahrstuhl befindendes Müllloch zu entleeren.

Das ist aber in heutigen Bauordnungen verboten; so muss auch, wer in einem neuen Wolkenkratzer lebt, in den Keller oder in den Müllgarten mit den verschiedenen Haustonnen gehen, um dort zu entsorgen, was eben Unrat und Abfall ist. HausmeisterInnen leben von Erzählungen über MieterInnen, die die Reste ihres Konsums einfach irgendwo stehen lassen, alte Marmeladengläser im Hausflur, Tüten mit organischem Abfall im Lift, kaputte Haushaltsgeräte in den Beeten und Rabatten, weil sie aus dem Fenster geworfen wurden.

Das sind andererseits gewöhnlich Ausfälle aus dem Zivilisationsmodus: Wo die Mehrheit längst die Gebote verinnerlicht hat, gibt es immer noch wenige, die partout alle Regeln missachten. In den meisten Hochhaussiedlungen der Republik sind die Müllschlucker längst verschlossen – in Berlin, so schätzte der Senat auf Anfrage eines CDU-Abgeordneten vor Jahresfrist, seien es nur noch 3.500 bis 4.000 „Müllabwurfanlagen“ (Behördenbegriff), die noch betrieben werden – Tendenz: sinkend! Nicht nur dass die Idee der Mülltrennung gar nicht erst zur Geltung kommen kann, vielmehr förderte diese Müllschluckerei auch das Wohlbefinden zum Beispiel von Ratten und Mäusen, die, kletterbegabt, weil hungrig, die lebensmittelverschmierten Schächte häufig bis in oberste Etagen ausleckten – was die Seuchengefahr nicht eben minderte.

Offen bleibt die Frage des organischen Mülls. Sind die meisten BürgerInnen für die Idee der Abfalltrennung zu haben, so lehnen sie doch die braune Tonne oft ab. In die soll organischer Unrat entsorgt werden – Gemüse- und Obstreste, verwelkte Blumen, ausgelaugte Balkongartenerde, verbrauchtes Kaffeepulver. Doch ob es nun an der Tonne liegt, die in der Farbe des Fäkalischen gehalten ist, oder an dem widerlichen Geruch, der ihr entströmt, wenn man den Deckel hebt: Am Ende, bilanzieren die Mülltentsorger, landet weniger Müll in ihr als kalkuliert.

Ideen aus grünen Ökolaboren, mit Aufschriften für eine gewisse Akzeptanz dieser Abfallsorte zu sorgen („Liebe deinen Müll wie dich selbst“, „Wertschätze die Wertstoffe, die du entsorgen möchtest“), fanden bei Markttestern keinen Anklang: Gestank bleibt Gestank und Ekel eben Ekel. Abfall lässt sich außer bei Idiosynkratischen oder einfachen Irren eben nicht positiv aufladen. Dennoch: Die Zivilisierung schreitet voran – der Mensch als bürgerliches Wesen hat sich zur Beschäftigung mit dem Unrat verführen lassen, sonst wäre es mit der Mülltrennung, die ja Kosten senken hilft, nie etwas geworden. Nur dem Ekel, einem sehr mächtigen Gefühl, ist nicht beizukommen. Die Straßen und Haushalte sind sauberer denn je: Die Tonne war und ist das entscheidende Behältnis, das Ordnung ins Chaos bringt.