Professor mit Zeit für Umtriebe


VON HUBERTUS GÄRTNER

Umwölkt von blauem Tabakrauch, die schwarze Labradorhündin „Marscha“ zu Füßen, sitzt Arno Klönne an seinem Schreibtisch. Der emeritierte Soziologieprofessor trägt ein kariertes Hemd, einen grauen Pullover mit V-Ausschnitt und blaue Jeans. Das Fenster seines Arbeitszimmers steht halb offen. Draußen jubilieren die Vögel. Das Gras im Garten leuchtet sattgrün und die ersten Apfelbaumblüten schimmern weiß.

Drinnen ist nur wenig Platz. Viele hundert Bücher stehen in Klönnes Arbeitszimmer. Sie sind aufgereiht in Regalen aus sehr dunklem Holz. „Globalisierung der Unsicherheit“, „Russland Komplex“ „Wörterbuch Soziale Arbeit“ lauten ein paar Titel. Auf einem Stapel liegt, offenbar frisch ausgepackt, Bettina Röhls „So macht Kommunismus Spaß“.

Auch Arno Klönne hat gute Laune. Man sieht es ihm nicht an, dass er am heutigen 4. Mai 75 Jahre alt wird. Wo immer er kann, mischt sich der Soziologe und streitbare Politologe aus Paderborn in die politischen Alltagsdebatten ein. Im Wissenschaftsbetrieb kennt ihn nahezu jeder. Klönne hat selbst zahllose Aufsätze und Bücher geschrieben. Darunter Klassiker wie die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ und „Jugend im Dritten Reich“.

Auch heute noch vergeht kaum ein Tag, an dem sich der 75-Jährige nach dem Frühstück nicht an seine alte Olympia setzt und ein paar Zeilen hinein hämmert. Zum „globalen Militarismus“ beispielsweise, den Klönne für ein Grundübel dieser Zeit hält, oder zum aktuellen Irankonflikt. Der Jubilar recherchiert meistens im Internet. „Das geht schnell und eröffnet ungeahnte Möglichkeiten“, sagt Klönne. Trotzdem wirkt der blau-grüne Computer vor ihm ein wenig „ungleichzeitig“.

Geboren wurde Arno Klönne am 4. Mai 1931 in Bochum. Als Kind erlebte er dort während des Zweiten Weltkriegs die Bombardierungen der Stadt im Ruhrgebiet. Sein Vater und seine Mutter waren Lehrer. Die Mutter arbeitete in einer katholischen Pfarrbücherei. Schon als kleiner Junge las Arno Klönne Bücher, die in Nazi-Deutschland auf dem Index standen und die deshalb in einem separaten Raum der Pfarrbücherei gelagert wurden. Noch während des Krieges zog die Familie nach Hövelhof im Kreis Paderborn. Arno Klönne besuchte in Paderborn das Gymnasium Theodorianum und machte dort sein Abitur. Anschließend studierte er in Marburg und Köln Geschichte, Soziologie und Politik.

In Marburg war Wolfgang Abendroth sein Lehrer. Der berühmte sozialistische Politologe habe ihn mit seiner Unabhängigkeit „fasziniert“, sagt Klönne. Er promovierte nach acht Semestern bei Abendroth über die Hitlerjugend. Später sollten noch etliche Untersuchungen zu den Massenorganisationen des Dritten Reiches folgen.

Zunächst arbeitete Klönne aber fünf Jahre lang als Landesjugendpfleger in Wiesbaden, bevor er seine Universitätskarriere an den Hochschulen in Münster, Göttingen, Bielefeld und zuletzt, von 1978 bis 1995, in Paderborn fortsetzte. In Münster war Klönne Assistent des berühmten konservativen Soziologen Helmut Schelsky. „Sehr tolerant“ sei dieser gewesen.

„Nehmen Sie sich Zeit für Ihre politischen Umtriebe“, mit diesen Worten habe Schelsky ihn zur Organisation der Ostermärsche aufgefordert, erzählt Klönne. Er schmunzelt und zieht zur Abwechslung mal nicht an seiner Pfeife, sondern raucht eine Filterzigarette.

Die schönste Zeit an der Hochschule sei für ihn die Ära der Studentenbewegung gewesen, sagt Klönne. Wenngleich er auch kritisiert, dass die Protestierenden bisweilen „reichlich Effekthascherei“ und „etwas zu viel Inszenierung“ betrieben hätten.

Wolfgang Abendroth wurde 1961 aus der SPD ausgeschlossen, weil er sich nicht von dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) distanzieren wollte. Klönne selbst blieb Jahrzehnte in der sozialdemokratischen Partei, obwohl ihm dort schon immer vieles nicht gefiel. Im vergangenen Jahr hat auch er der Partei dann den Rücken gekehrt und ist ausgetreten. Die SPD habe sich zu einer „Marketing-Agentur ohne innerparteiliche Diskussion“ entwickelt, sagt Klönne. Heute engagiert er sich auf lokaler Ebene in der Demokratischen Initiative Paderborn sowie im Linken Forum Paderborn, dessen Vorsitzender er ist.

Den Parteien traut Klönne ohnehin kaum noch demokratisches Veränderungspotenzial zu. Lieber will er „das demokratische Leben wieder in Gang setzen“. Er setzt auf Bürgerbegehren und Volksentscheide, um „die erstarrten Parteien durcheinander zu bringen“. Deswegen müsse auch gegen das angegangen werden, „was sozialpolitisch läuft“, sagt Klönne. Hartz IV zum Beispiel. „Wenn die Leute ständig gegängelt und gedrückt werden, kann sich keine Kreativität entwickeln“.

Die Chancen für ein demokratisches Revival hält der Jubilar für gar nicht schlecht. Der Kapitalismus „zeigt sich mit aller seiner Energie“, sagt Klönne. Und diese Zustände würden „nicht nur für Minderheiten“, sondern für immer mehr Menschen zum Ärgernis. „Da lässt sich vieles tun, auch neu beginnen.“