Eine schrecklich tüchtige Familie

MUSIK Sie spielen Mittelalterock auf nachgebauten Instrumenten: Schandmaul gehört seit zehn Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Bands – ohne durch die Talkshows zu tingeln

Die Charts: Schon das Schandmaul-Album „Narrenkönig“ war 2002 in den deutschen Album Charts auf Platz 70. Danach ging es weiter bergauf. 2004 landete „Wie Pech & Schwefel“ auf Platz 13, 2008 eroberte das Album „Anderswelt“ den 8. Platz, bis dato beste Platzierung der Gruppe.

Der Markt: Die ersten Mittelalter-Rockbands entstanden Anfang der 90er Jahre. Ein Trend, dem seitdem hunderte von Bands folgten. Zu den bekanntesten gehören heute neben Schandmaul Subway to Sally, Corvus Corax und In Extremo. Letztere belegte 2006 bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest den 3. Platz.

VON CHRISTOPH GURK

Im Keller von Gudrun und Werner Brunner, Rentner aus Gernlinden bei München, stapeln sich hunderte T-Shirts. Von manchen lacht ein Totenkopf mit einer Narrenkappe, alle sind nachtschwarz und sauber zusammengelegt, per Hand, von Frau Brunner persönlich.

Früher hat ihr Mann hier unten Filme geschnitten, Aufnahmen von Familienfeiern oder aus dem Urlaub. Aber die schwarzen T-Shirts haben den kleinen Schneidetisch verdrängt, jetzt steht er in einer Ecke und verstaubt. Die Regale sind ordentlich beschriftet. „T-Shirt Skull S“ steht da, oder „DVD“, „Schlüsselkette“ und „Heckaufkleber Schwarz“. Frau Brunner ist 63, sieht aber jünger aus mit ihren kurzen braunen Haaren. Sie rückt die Brille zurecht, liest eine Bestellung, zupft ein T-Shirt aus einem Stapel und tütet es ein. „So dala,“ sagt sie, und: „Da haben wir es schon.“

Ihrem Mann erklärt sie, dass das Päckchen in die Schweiz muss. „Der hat fast alle CDs bestellt“, sagt sie laut, ihr Mann hört nicht mehr so gut. „Bestimmt ein neuer Fan von uns.“ Mit „uns“ meint Gudrun Brunner Schandmaul, eine der erfolgreichsten deutschen Mittelalterrockbands. Hunderte Konzerte haben sie gegeben und ein halbes Dutzend Alben herausgebracht, dazu noch einige Live-CDs und DVDs. Denn Mittelalterrock boomt in Deutschland.

Anders als andere Bands aus dem Genre aber hat Schandmaul es nach oben geschafft, ohne dafür durch Musiksender und Talkshows zu tingeln. Die Lieder der Band werden nur selten im Radio gespielt, es gibt kein Musikvideo.

Heute spielt Schandmaul in Erfurt, der Saal ist voll, im Publikum reißt ein blonder Hühne mit Wolltunika sein Trinkhorn in die Luft und schüttelt seine Haare. Sein Freund trägt spitze Lederstiefel mit Glocken dran, wenn er durch den Saal geht, klingt es, als fahre der Schlitten des Weihnachtsmanns heran. Zwei Reihen weiter steht ein Pärchen, der Junge hat seine Haare blau gefärbt, seine Freundin trägt einen Überwurf aus Schafswolle, in ihrem Mund glitzert eine Zahnspange. Letztes Jahr feierten Schandmaul ihr zehnjähriges Bestehen, eine lange Zeit in einem Gewerbe, in dem selbst große Talente die Halbwertszeit von ein paar Wochen haben.

Fragt man die Bandmitglieder nach den Gründen für den Erfolg, erzählen sie von Autogrammstunden, von Engagement und konsequenter Fanarbeit. Bei Konzerten verschanzen sich Schandmaul nicht im Backstage-Raum, sie gehen in die Menge, reden mit den Besuchern und lassen Fotos von sich knipsen, Arm in Arm mit verschwitzten Teenagern.

Fragt man die Fans, bekommt man jedoch eine andere, etwas altmodische Antwort: Authentizität. Und hier kommen die Brunners, Werner und Gudrun, ins Spiel.

Denn Stefan Brunner, der Schlagzeuger von Schandmaul, ist ihr Sohn. Und gleichzeitig auch ihr Chef. Schandmaul ist ein Familienunternehmen. Die Band macht so viel wie möglich selbst, Stefan und Matthias, der Bassist, sind die Manager. Der Sänger kümmert sich um die Aufnahmen, der Vater des Bassisten erledigt die Kartenverkäufe. Die Rechnungen und den Versand machen die Brunners. 400 Euro bekommen sie dafür. Mindestens vier Stunden arbeiten sie jeden Tag, sie könnten mehr verlangen, aber das wollen sie nicht.

Werner Brunner hat sein Büro im ersten Stock. Besser gesagt: Sein Computer steht hier. Früher war es das Kinderzimmer seines Sohnes, damals hatte Werner Brunner noch eine Staplerwerkstatt, vor ein paar Jahren ist er in Frührente gegangen. Nun ist er 65, seine Haare sind weiß, aber er wirkt immer noch sportlich. Buchhaltung ist wichtig für eine Band, das weiß Werner Brunner. Wenn er am Anfang das Geld nicht so zusammengehalten hätte, erklärt er, dann wäre es Schandmaul so gegangen wie damals der Spider Murphy Gang: „Die hatten nichts zurückgelegt. Und dann kam das Finanzamt.“ Einen ganzen Song haben sie darüber geschrieben, sagt Werner Brunner. In dem Lied erzählt die Band, wie ihr Geld und ihr weißer Cadillac mit Chauffeur abgeholt wird. Herr Brunner weiß das, er war früher selber Fan. Schandmaul haben keinen weißen Cadillac, nur einen geliehenen doppelstöckigen Tourbus.

Die Band gibt gerade ihre fünfte Zugabe, der ganze Saal bewegt sich seltsam anmutig, von einem Bein aufs andere. Die Drehleierspielerin und die Flötistin der Band tragen lange, wohl irgendwie mittelalterliche Kleider, der Rest der Band sieht eher aus wie Hippies in Schwarz oder Zimmermänner auf der Waltz.

Mittelalterrock, das ist keine Szene. Es gibt keinen Dresscode, die meisten Fans kaufen sich ihre Kleidung auf Mittelaltermärkten oder schneidern sie sich selbst. Im Publikum mischen sich Punks und ein paar Herren um die 50, die nach Arbeitsamt und Bahnhofskneipe aussehen, obwohl sie altertümliche Hemden mit Puffärmeln tragen. Sie alle vereint das Mittelalter, oder besser gesagt das, wofür es heute steht: ein Märchen.

„Wir sind die modernen Gebrüder Grimm“, sagt Stefan Brunner, und tatsächlich wirkt Sänger Thomas Lindner manchmal wie ein Märchenonkel, wenn er mit dem Publikum redet. Dann verstellt er seine Stimme, gestikuliert, reißt die Augen auf und schneidet Grimassen. Die Fans kennen seine Texte auswendig, singen mit ihm zusammen über Burgfräulein und Wolfsmenschen, über eine andere Zeit, die sie sich einfacher vorstellen und schöner. Die Romantik kehrt zurück in Zeiten der Wirtschaftskrise und der Ölpest. Dass das alles nichts mit Mittelalter zu tun hat, eher Schlager mit Schalmeien ist, interessiert die Fans nicht.

Mittelalterrock, das ist keine Szene. Es gibt keinen Dresscode, viele Fans schneidern sich ihre eigene Kleidung

Wichtig sind andere Werte. Einmal nur gab es bei Schandmaul einen Besetzungswechsel, der Rest der Band ist der gleiche, seit zehn Jahren, inklusive Mischer und Lichtmann. Eine Band, die Märchen erzählen will und sich hinter der Bühne zerfleischt, wäre unglaubwürdig. Schandmaul sind das Märchen, das sie erzählen wollen. Dass sie ein Familienunternehmen sind, passt natürlich perfekt ins Bild.

Frau Brunner sitzt in ihrem Büro unter dem Dachstuhl. Eigentlich ist es das Gästezimmer, seit Stefan ausgezogen ist, aber nun steht hier ein Schreibtisch und ein ergonomisch geformter Bürostuhl. Wer sich auf der Schandmaul-Homepage ein T-Shirt, einen Tanga oder einen Heckscheibenaufkleber mit dem Logo der Band bestellt, landet immer in der Reihendoppelhaushälfte in München-Gernlinden.

In dem Gästezimmerbüro summt und surrt es dann, Gudrun Brunner druckt sich die meisten Bestellungen noch mal aus, weil sie Dinge lieber auf Papier als auf dem Monitor sieht. Auf der Fensterbank steht eine kleine Karawane aus Stein-Elefanten, an der Tür hängt ein Schandmaul-Poster, ganz symmetrisch und ordentlich mit Tesa festgeklebt.

Früher war Gudrun Brunner bei der Post. Dann kamen die Kinder. Mit Schandmaul begann für sie so etwas wie ein zweiter Frühling. Sie kennt die Fans. Wenn jemand aus dem Umkreis von Gernlinden etwas bestellt, kann er bei den Brunners vorbeikommen und sich seine Bestellung persönlich abholen. Das spart Porto. Den anderen Bestellungen legt Frau Brunner immer eine Autogrammkarte bei. Die müssen die Bandmitglieder signieren, bevor sie auf Tour gehen. Brotlaibdicke Stapel, alle einzeln und per Hand unterschrieben. „Dann murren die immer, aber das ist mir egal,“ sagt Gudrun Brunner. „Das hier ist mein Job, den mach ich, wie ich will.“

Wenn die Band zurück ist von der Tour, werden die Brunners in den Urlaub fahren, und Stefan übernimmt so lange ihre Arbeit. Vor kurzem hat er seinem Vater einen iPod geschenkt. „Ein tolles Ding“, findet er. Musik hat er sich schon draufgeladen, ein bisschen griechische Folklore und auch Schandmaul. Noch ist aber nur ein Drittel der Festplatte belegt. „So viel Musik habe ich gar nicht“, sagt Werner Brunner. „So viel Urlaub hast du auch gar nicht“, versetzt Gudrun Brunner. Und dann arbeiten beide weiter.