Schule statt Specksteinklopfen

In Brasilien ist Kinderarbeit auf dem Rückzug. Das ist der Arbeit von zahlreichen Basisgruppen zu verdanken, aber auch dem Antihungerprogramm der Regierung

PORTO ALEGRE taz ■ Zu den Erfolgsgeschichten des ILO-Berichts über Kinderarbeit gehört Brasilien. Nach offiziellen Angaben arbeiteten dort 2004 „lediglich“ 248.594 Kinder zwischen fünf und neun Jahren, 1992 waren es noch 636.248. Auch wenn knapp fünf Millionen 10- bis 17-Jährige schuften und die wirklichen Zahlen mit Sicherheit höher liegen – der Trend ist eindeutig und ist durch das Antihungerprogramm der Regierung Lula, das vor allem in den Bundesstaaten des armen Nordostens frühzeitig gegriffen hat, noch verstärkt worden. Mittlerweile kommen die Haushaltszuschüsse über 13 Millionen Kindern in ganz Brasilien zugute.

Das eigentliche Geheimnis für die Fortschritte liegt jedoch im breiten Engagement der „Zivilgesellschaft“, das wiederum auf die staatliche Politik ausstrahlt. Seit dem Ende der Militärdiktatur in den Achtzigerjahren sind tausende Basisgruppen im Sozialbereich tätig. 1994 schlossen sich NGOs, Kirchengruppen und Gewerkschaften zum Nationalen Forum zur Verhütung und Beseitigung der Kinderarbeit zusammen. Die AktivistInnen bauen Sozialwohnungen und sanitäre Einrichtungen, organisieren Programme im Gesundheits- und Bildungsbereich, betreiben über Lokalradios oder eigene Publikationen Aufklärungsarbeit – und werden dabei von staatlichen Instanzen auf lokaler, regionaler und Bundesebene unterstützt. In den Neunzigerjahren stieg die Einschulungsquote bei den 7- bis 14-Jährigen von 86 auf 96 Prozent, die Schulpflicht wurde soeben von acht auf neun Jahre erhöht.

Dass es für Entwarnung aber noch zu früh ist, zeigt das Beispiel Faber-Castell im Bundesstaat Minas Gerais. Für seine Wachsmalstifte bezog der Nürnberger Multi, der in Brasilien seine größte Auslandsniederlassung hat, jahrelang Specksteinpuder aus Mata dos Palmitos. In den Steinbrüchen des 300-Seelen-Dorfes schufteten Dutzende von Kindern, wie das Gewerkschaftsinstitut Observatório Social nachwies. Nach dem Bekanntwerden der Studie brach Faber-Castell sofort die Beziehungen zum Zulieferer Talco de Minas ab und stattete im April zehn Schulen der Region mit Schulmaterialien aus. In Mata dos Palmitos kommen nun 60 statt bisher 20 Kinder in den Genuss von Zuschüssen aus dem staatlichen Programm gegen Kinderarbeit. GERHARD DILGER