„Schwul“ soll kein Schimpfwort mehr sein

DISKRIMINIERUNG Senat startet Initiative gegen Homophobie. Die Zahl der Beschwerden steigt

■ Am 17. Mai ist Tag gegen Homophobie. An diesem Tag vor 20 Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation beschlossen, Homosexualität von ihrer Liste psychischer Krankheiten zu streichen.

■ Auch in diesem Jahr wird aus diesem Anlass öffentlich geknutscht. Vor der ugandischen Botschaft in der Axel-Springer-Straße in Kreuzberg soll mit der Kussaktion gegen das „Anti-Homosexualitäts-Gesetz“ protestiert werden, über das das ugandischen Parlament derzeit verhandelt. Es sieht für Homosexualität eine Freiheits- oder die Todesstrafe vor.

■ Opfer von Homophobie können sich in Berlin unter anderem an die Antidiskriminierungsstelle (www.berlin.de/lads), das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo (www.maneo.de) oder an die Lesbenberatung (www.lesbenberatung-berlin.de) wenden.

„Schwul“ ist ein beliebtes Schimpfwort auf Schulhöfen, die burschikose Siebtklässlerin wird gehänselt, und ihr Lehrer verschweigt, dass er mit einem Mann zusammenlebt. Das gehört auch in Berlin zum Alltag – der Stadt, die als toleranteste in Deutschland gilt, wenn es um individuelle Lebensentwürfe geht. Doch gerade hier werden seit zwei Jahren verstärkt Menschen wegen ihrer sexuellen Identität oder Orientierung angegriffen. Deshalb startet der Senat am Montag, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, die „Initiative sexuelle Vielfalt“.

„Diese Vielfalt sexueller Identitäten macht Berlin attraktiv, die wollen wir stärken“, sagte Rainer Maria Fritsch, Staatssekretär für Soziales (Linke), am Mittwoch bei der Vorstellung des Projekts. Alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus hatten im vergangenen Jahr für das Paket und dessen finanzielle Ausstattung mit 2,1 Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre gestimmt. Zur Initiative gehört die Aufklärung an Schulen und in sozialen Einrichtungen. Neben einer großen multimedialen Aufklärungskampagne liegt ein weiterer Schwerpunkt auf wissenschaftlichen Studien und der Erinnerungsarbeit, wie etwa durch Förderung des Schwulen Museums. Und eine oftmals vergessene Gruppe soll unterstützt werden: die betagten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Transgender. Laut Senat leben in Berlin 40.000 Homosexuelle im Alter von über 65 Jahren. Deshalb soll es in Senioren- und Pflegeeinrichtungen Aufklärungskampagnen geben.

„Die Initiative ist ein historisches Ereignis, weil Berlin jetzt auch nachhaltig etwas gegen Diskriminierung tun will“, erklärt Eren Ünsal, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. Diese ist eine der sechs Anlaufstellen für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen (siehe Kasten) und wurde vor drei Jahren eingerichtet. Von den 470 Menschen, die sich dort 2009 beschwert haben, war in fast einem Viertel der Fälle die „sexuelle Identität“ Anlass für Diskriminierung. Mit Rückschlüssen auf die Dimension von Diskriminierung müsse man jedoch vorsichtig sein, warnt Ünsal, da die meisten Fälle nicht gemeldet würden. „Was wir aber definitiv sagen können: Die Zahl der Beschwerden nimmt zu“, erklärte sie.

„Berlin will nachhaltig etwas gegen Diskriminierung tun“

EREN ÜNSAL

Viele der konkreten Projekte wie Fortbildungen und Aufklärung in Schulen, Behörden oder bei der Polizei übernehmen die in die Initiative eingebundenen Vereine, Communitys und Beratungsstellen, die sich im Vorfeld mit ihren Konzepten beworben hatten. KATHLEEN FIETZ