Ehrenamt? Nein danke!

HAUSBESUCH Ursula Eichler wäre gerne Fotoreporterin geworden. Aber alle sagten, das sei nichts für eine Frau

VON NADINE MICHEL
(TEXT) UND YVONNE SEIDEL (FOTOS)

Karlsruhe, Stadtteil Rüppurr, Baden-Württemberg, zu Hause bei Ursula („Ulle“) Eichler (73 Jahre).

Draußen: Eine lange Hausreihe mit drei Wohnungseingängen und insgesamt 24 Wohnungen, davor eine Reihe mit Parkplätzen. Die Fassade ist rosa, die Fensterrahmen sind weiß, den Hauseingang ziert ein Busch. Über dem Eingang befindet sich ein kleines Vordach, die Haustür ist zum Teil verglast.

Drin: In der Zweizimmerwohnung dominiert die Farbe Weiß: weißer Teppichboden, weiße Lamellen vor der Balkontür, weiße Regale. Im Wohnzimmer eine große Bücherwand mit viel Literatur über Kunst: Dalí, Caspar David Friedrich, Pablo Picasso, außerdem ein Schallplattenspieler. Daneben eine kleine Schlafcouch mit bunten Kissen, ein Ledersessel, ein Zeitungskorb und ein alter Sekretär aus dem Jahre 1887 („Ein Familienstück, den haben wir überall mit hingeschleppt.“). Der Balkon ist mit vielen Blumen und Pflanzen geschmückt. Im Schlafzimmer verbirgt sich ein kleines „Musikstudio“: Auf dem Schreibtisch gegenüber vom Bett steht ein Keyboard, ein Mikrofon aus einem Harley-Davidson-Blinker und ein roter Verstärker, der aussieht wie ein altes Radio.

Was macht sie? Ursula ist Rentnerin und spielt in ihrer freien Zeit Bluesharp, eine Mundharmonika. Das Instrument hatte sie sich in den Siebzigerjahren gekauft, aber bald darauf wieder an die Seite gelegt und vor zehn Jahren beim Ausmisten im Kleiderschrank wiederentdeckt: „Das ist ein tolles Hobby. Sie werden nie fertig damit, weil es so schwierig ist.“ In einem Verein oder ehrenamtlich ist sie nicht tätig. „Ich war nie eine große Verfechterin des Ehrenamts. Ich finde, das nutzt der Staat aus.“

Was denkt sie? Ursula freut sich auf den Besuch des nächsten kleinen Wochenendworkshops für Bluesharp sowie grundsätzlich immer auf die zwei internationalen Jahres-Highlights der Bluesfestivals, die in Trossingen und im Vogtland stattfinden. Aber: „Leider wird die Bluesharp immer noch von der traditionelleren BürgerInnenfraktion ignoriert.“

Ursula: Geboren 1940 in Duisburg. Gegen Ende des Krieges wurde ihr Vater eingezogen, ihre Mutter floh mit Ursula und ihren zwei Geschwistern von Gleiwitz über Berlin nach Wolfenbüttel in Niedersachsen, wo ein Onkel wohnte. Später ging Ursula in Köln zur Schule und wurde anschließend für eine Ausbildung auf eine Gymnastikschule in Oberfranken geschickt. („Ich wäre gerne Fotoreporterin geworden. Aber alle haben gesagt: ‚Das ist doch nichts für eine Frau.‘“) Als sie in Frankfurt am Main arbeitete, lernte sie ihren Mann kennen. Nach einigen Monaten bei den Schwiegereltern im Haus zogen sie mit 24 Jahren nach Berlin, wo sie von 1966 bis 72 wohnten. („Das war die prägendste Zeit meines Lebens.“) Nach verschiedenen Berufsstationen machte Ursula eine Umschulung zur Stenokontoristin. Als ihr Mann eine Stelle in Karlsruhe bekam, zog sie hinterher und arbeitete als Schreibkraft an der Uni. Die Ehe ging in die Brüche, von nun an war Ursula Alleinerziehende einer kleinen Tochter. Beruflich engagierte sie sich in der gewerkschaftlichen Betriebsgruppe und wurde überredet, sich für die Personalratswahlen aufstellen zu lassen. Prompt wurde sie gewählt. Später wurde sie an der Uni Frauenvertreterin für die nicht-wissenschaftlichen Angestellten. („Das war der schwerste Teil des Berufslebens.“) 2003 ging sie in Rente.

Das letzte Date: „Das ist soo lange her … Darüber möchte ich nichts erzählen, das habe ich alles begraben.“

Einsam? Sonntags sei manchmal so ein Tag, an dem sie denke, es wäre schön, wenn jemand da wäre. „Aber eigentlich fühle ich mich nicht einsam.“

Der Alltag: Ursula steht gegen sieben Uhr auf. („Bis um zwölf Uhr im Bett liegen, das geht gar nicht.“) Dann nimmt sie sich Zeit für ein ausgiebiges Frühstück mit Kaffee, zwei, drei Scheiben Brot und einem frisch gekochten Ei. Wenn sie keine Zeit hat, gibt es nur ein Müsli. Am Vormittag erledigt Ursula, wenn nötig, Hausarbeit. Danach übt sie bis zur Mittagspause Bluesharp. Warmes Mittagessen isst sie nicht. („Sonst ist der Tag so zerfleddert mit der Kocherei.“) Stattdessen geht sie spazieren oder auch mal ins Museum. Um sechs Uhr kocht sie Abendessen, guckt die Tagesschau „und dann schlafe ich ein, wenn nichts Spannendes läuft“. Vor zwölf Uhr geht sie trotzdem nicht ins Bett, sondern bleibt so lange auf dem Sofa liegen.

Wie finden Sie Merkel? „Was für eine Frage! Wer soll das sein?“

Wann sind Sie glücklich? „In einer Gemeinschaft mit netten Menschen.“

Interesse? Wenn Sie auch einmal besucht werden möchten, mailen Sie an hausbesuch@taz.de