Ein Who’s who

ENTWICKLUNG Aus der Nische zur eigenen Position: Das Fotobook-Festival Kassel lässt ein Medium entdecken

Über 400 Fotografen haben ihre selbst- gestalteten Fotobücher, für die sie noch keinen Verlag haben, eingereicht

VON DAMIAN ZIMMERMANN

Während der Kunstmarkt scheinbar unbeeindruckt von der Wirtschaftskrise weiter Rekordverkäufe meldet, hat sich ein ganz neuer Markt rund um das Fotobuch etabliert. Das fristete in der Vergangenheit eher selbst in den Kunstbuchhandlungen ein Nischendasein. Wie die Fotografie selbst brauchte es offensichtlich seine Zeit, bis das Medium Fotobuch als das erkannt wurde, was es ist: eine eigenständige künstlerische Position.

Das haben auch die Macher des ehemaligen Kasseler Fotofrühlings gemerkt – und widmen sich seit 2008 nur noch dem Medium Fotobuch. Seitdem ist das sogenannte Internationale Fotobook Festival kontinuierlich auf aktuell vier Veranstaltungstage angewachsen und fand erstmals in der documenta-Halle statt. Zwar war die Akustik im großen Saal eine Zumutung, Vorträge wurden teilweise in viel zu kleinen Räumen abgehalten und nachmittags ging auch schon mal das Essen aus. Die insgesamt gute Stimmung unter den rund 2.000 Besuchern konnte das aber kaum trüben – schließlich versammelte sich in Kassel das Who’s who der Szene.

Viel zu entdecken

Zu den bekanntesten gehören der Magnum-Fotograf und Fotobuch-Guru Martin Parr (der auch zum Beirat des Festivals gehört) sowie die Japanerin Rinko Kawauchi, der Amerikaner Alec Soth und Paul Graham aus Großbritannien, die in Vorträgen über ihre Arbeiten sprachen. In anderen Veranstaltungen lernte der Besucher viel über Techniken, Materialien und über das Sammeln von Fotobüchern.

Es gab viel zu entdecken. Die auf das Fotobuch spezialisierten Buchhändler und Antiquariate, allen voran Schaden.com aus Köln, haben ihre Schätzchen mitgebracht. Für den Kasseler Photobook-Award wurden internationale Experten wie Freddy Langer, Martin Parr, Gerry Badger und JH Engström nach dem ihrer Meinung nach bestem Fotobuch des vergangenen Jahres befragt. Gleich dreimal wurde dabei das Buch „Black Passport“ nominiert – es ist das bedrückende Journal des ehemaligen Mode- und heutigen Kriegsfotografen Stanley Greene. Und das vielleicht ausgefallenste Fotobuch ist streng genommen gar keins, sondern eigentlich ein elf Meter langes Leporello: „Beyond Borders“ von Frederic Lezmi erzählt die Geschichte einer Reise quer durch Europa bis in den Nahen Osten.

Publikumsmagnet

Als Publikumsmagnet entpuppte sich auch der Fotobuch-Dummy-Preis. Über 400 Fotografen haben ihre selbst gestalteten Fotobücher, für die sie noch keinen Verlag haben, eingereicht. 56 wurden von einer Jury für das Festival ausgesucht – und die boten eine große Bandbreite der aktuellen Fotografie. Besonders auffällig waren dabei die aufwändig gestalteten fünf Bände von „Erholungszone Deutschland“ des Duos Valeska Achenbach/Isabela Pacini, in denen sie sich mit dem Freizeitverhalten der Deutschen humorvoll pointiert auseinandergesetzt haben. Eindrucksvoll auch Alexander Labrentz’ Buch „Arbeit und Leben“ – er dokumentiert den Alltag von Landwirten und Tieren in eindringlich verstörenden Bildern. Für seine „Familienporträts im mobilen Rahmen“ ist Richard Kurc wiederum streng formal vorgegangen – und hat die Mutter-Vater-Kind-Konstellationen in ihren Autos fotografiert.

Gleichzeitig boten die Dummys die Möglichkeit zu erkennen, was bei der Produktion eines Fotobuches alles falsch laufen kann – schließlich ergibt nicht jede gute Fotoserie automatisch ein gutes Buch. So hat Ursula Becker mit „Wunschkinder“ zwar großartige Fotos von weinenden Kindern gemacht, sich aber offensichtlich nur wenig Mühe bei der Gestaltung gegeben, weil sich der Betrachter sofort am schlechten Papier und Druck sowie an der einfallslose Typografie stößt. Auch scheitern viele Fotografen an der Rhythmisierung ihrer Bilder.

Aber woran erkennt man dann eigentlich ein gutes Fotobuch? Im Optimalfall gehen Form und Inhalt eine Symbiose ein. Viele vertrauen aber auch gerne auf die Meinung anderer – und vor allem auf die von Martin Parr und Gerry Badger. Seitdem die beiden das Buch „The Photobook: A History“ herausgegeben haben, hat sich ein Hype um das Fotobuch entwickelt – und ihre Publikation steht heute als Kanon in den Regalen der Sammler und Liebhaber. Dabei ist ihre Auswahl – natürlich – streng subjektiv.

Das zeigt vor allem, dass es auf dem recht jungen Fotobuchmarkt noch viel Aufklärungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten gibt. Oder, wie es der Kunsthistoriker, Mitveranstalter und Fotobuchsammler Thomas Wiegand formuliert: „Glauben Sie kein Wort von dem, was bei Parr steht. Bilden Sie sich lieber Ihre eigene Meinung.“

www.fotobookfestival.org