Berlusconi kürzt, Opern streiken um ihre Existenz

In Italien steht der Oper das Wasser wirklich bis zum Hals. Mit Streik zu drohen, das gehört in Italien zwar zum Operngeschäft. Doch diesmal streiken sie wirklich. Und nicht nur an der Mailänder Scala, wo letzte Woche die „Rheingold“-Premiere des unter Daniel Barenboim mit Berlin koproduzierten „Ring des Nibelungen“ geplatzt ist.

Man kann die Streikenden verstehen. Denn es geht nicht um ein paar Euro oder die Abschaffung eines Zuschlages für die Choristen, wenn sie ein Schwert halten müssen. Es geht nicht mal um das überall nötige Ringen um Tarife oder Defizite. Diesmal geht es um mehr.

Mit auffallendem Eiltempo hat die Regierung Berlusconi per Dekret den ohnehin nur 340 Millionen Euro umfassenden Musik- und Theaterfonds um ein Drittel gekürzt. Die 14 Opernhäuser sollen die ausfallenden Mittel selbst aufbringen. Dazu wurden ein Einstellungstopp bis 2012 verhängt, Nebenverdienste und Haustarife untersagt und de facto die Autonomie der Institutionen abgeschafft. Die Opernhäuser sind jetzt praktisch dem Kulturministerium unterstellt, das in den Berlusconi-Jahren noch nie durch besondere Sachkenntnis aufgefallen ist, sondern sich vor allem durch politische Nähe zum Regierungschef legitimiert hat.

Gesund ist das Klima für die Oper im Land ihrer Geburt schon lange nicht mehr. In der Hauptstadt spielt sie keine Rolle, das La Fenice in Venedig wird vor allem als architektonische Attraktion wahrgenommen, selbst der traditionsreiche Maggio Musicale in Florenz kommt ohne koproduzierenden Beistand aus Valencia nicht mehr in die Gänge. Im Ausland wird die Oper in Italien ohnehin längst mit dem Spektakel in der Arena von Verona oder antiquierten Ausstattungsschlachten gleichgesetzt. Gemessen am Standard nördlich der Alpen spielt selbst die weltberühmte Scala (auch unter Stéphane Lissner) oft nur in der mittleren Liga. Aber sie ist ein Symbol.

Doch wenn selbst dieses Flaggschiff der dezimiert dahindümpelnden italienischen Opernarmada unter Beschuss gerät, dann ist die Katastrophe da. Dabei erwirtschaftet dieses Haus stolze 60 Prozent seines Budgets selbst und spielt zumindest mit dem Inaugurazione-Glamour im Dezember eine Sonderrolle fürs italienische Selbstverständnis.

In Italien hat man mit dem jüngsten Dekret offensichtlich eine Schamgrenze überschritten. Der populistische Stammtisch à la Berlusconi hat triumphiert. Die Streiks mögen den Betroffenen die Medienaufmerksamkeit sichern. Doch was heißt das in einer Gesellschaft, die sich immer mehr auf die oberflächliche Hochglanzästhetik von Fernsehshows einschwören lässt und einem Berlusconi an der Wahlurne immer wieder die politische Mehrheit sichert?

Die aufziehende kulturpolitische Operndämmerung, die sich statt des geplanten „Rheingolds“ jetzt in Mailand so überdeutlich zeigt, wird so zu einem Menetekel. Und sage keiner, Italien ist weit weg. Dessau zum Beispiel liegt vor der Haustür. Auch da würde die anvisierte Kürzung der Zuschüsse um ein Drittel das Aus für die Oper bedeuten. Italien ist also überall?

JOACHIM LANGE