Angeknabbert von Wirtschaft und Natur

Neun Prozent des bayerischen Bergwaldes gelten als sanierungsbedürftig. Schuld sind nicht nur die Gämsen, auch die zunehmende Ökonomisierung macht den Waldschutz schwieriger. In Österreich gehört der Wald schon einer Aktiengesellschaft

AUS OBERAMMERGAU MAX HÄGLER

Für Touristen ist ihr Auftauchen Ausdruck intakter Bergwelt: Wenn am Wegesrand eine Gämse innehält, geht dem norddeutschen Besucher das Herz auf. Doch für die Anrainer der Alpenwelt ist das Schalenwild wichtigstes Symbol der vom Menschen veränderten Natur: Im 19. Jahrhundert als Beschussziel für den Adel herangezogen, springen inzwischen viel zu viele über Felsen und Almwiesen und knabbern an den Bäumen.

Wildbiss ist eines der Probleme, mit denen der Bergwald zu kämpfen hat. In diesen Tagen versammelte das bayerische Forstministerium hochrangige Experten in Oberammergau, um auf den schlechten Zustand des Bergwaldes hinzuweisen.

„Die vordringlich zu sanierenden Waldflächen in Bayern haben in den letzten zehn Jahren um 1.000 auf 13.000 Hektar zugenommen, das sind rund neun Prozent des bayerischen Schutzwaldes“, rechnet der Oberammergauer Forstbeamte Armin Just vor. Zwar werden jährlich rund 2,8 Millionen Euro in die Wälder investiert, die vor Erdrutschen und Lawinen schützen sollen. Aber die Arbeit in den steilen Hängen ist beschwerlich. „Wir müssen in den Bergen etwa 30 oder 40 Jahre warten, bis ein Baum zwei Meter groß ist“, so Just. Viel Zeit, in der das Wild sich in das Holz verbeißen kann.

Vor allem die wohl schmeckende Tanne muss leiden, „dabei ist sie als Tiefwurzler Dreh- und Angelpunkt des Bergwaldes“, sagt sein Kollege Meinhard Süß. „Wir bräuchten einen Dreiklang aus Fichte, Tanne und Buche.“ Doch die Hälfte des bayerischen Bergwalds ist reiner Fichtenbestand. Der lässt sich verkaufen, ist aber auch anfällig.

Just und Süß haben bis zum vergangenen Jahr zusammengearbeitet – als Förster in den bayerischen Staatsforsten. Doch die Zeiten ändern sich, zwar ist Just immer noch staatlicher Wächter, Süß aber ist Wirtschaftsmann geworden, knapp sechs Millionen Euro Erlös haben seine Bäume im letzten Jahr gebracht. Als Forstbetriebsleiter verwaltet er den Oberammergauer Teil der „Bayerischen Staatsforsten“, unter denen die früheren Staatswälder – ausgelagert in eine Anstalt des öffentlichen Rechts – nun firmieren.

Die Folgen: Mehr Effizienz beim Holzverkauf, aber auch mehr Bürokratie, etwa bei der bitter notwendigen Bejagung des Wildes. Konnte und sollte Förster Just früher im Staatswald auch zum Gewehr greifen, muss er heute in den „Bayerischen Staatsforsten“ wie private Jäger eine Abschusslizenz erwerben.

Bei den Nachbarn geht die Kapitalisierung noch weiter. Die Staatswälder in Österreich wurden gar in einer Aktiengesellschaft namens „Österreichische Bundesforsten“ zusammengefasst. Selbst Waldwirtschaftler Süß hat seine Zweifel, ob das auf Dauer gut geht: „Es ist eine Frage, wie man den Wald versteht, als Zentralressource oder als Marktprodukt, wie bei den ÖBF, das maximalen Ertrag bringen soll.“

Für Hubert Weiger, den Präsidenten des Bund Naturschutz, ist klar: „Wir erleben die Renaissance einer Forstpolitik, die auf extreme Verzinsung aus ist – der Neoliberalismus zeigt sich auch in unseren Wäldern.“ Es sei zwar legitim, den Rohstoff Holz zu nutzen, aber nicht, wenn das in öffentlichen Wäldern zu Lasten der kommenden Generationen gehe.

Heinz Röhle, Inhaber des Lehrstuhls für Waldwachstum an der TU Dresden, wundert sich nicht, dass derzeit eine Diskussion um Wälder, Bewirtschaftung und Bejagung in Gang kommt. „In Deutschland herrscht immer noch ein romantisch-verklärtes Waldbild, wie es Eichendorff vorgegeben hat“, meint Röhle, der auch Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins ist. Während die Menschen hierzulande summen „O schöner, grüner Wald“, würden etwa die Skandinavier seit je ihre Wälder wirtschaftlich nutzen.

Ökologie und Ökonomie stünden nicht im Widerspruch: „Ein Wald, den man nicht nutzt, der wird auch ökologisch nicht richtig behandelt.“

Aber überall kann diese Regel eben nicht gelten, darauf weist der Waldforscher auch hin. Die Sanierung der vielen Hektar Schutzwald im sensiblen Alpenraum „darf man nicht als normale Wirtschaftsaufgabe sehen“. Und auch bei der Gämse stimmt Röhle in den Chor der Waldmänner ein: „Wir haben viel zu viele.“