Schnapsidee

WAS SAGT UNS DAS? Frankreichs Jugend verabredet sich via Facebook zum kollektiven Besäufnis

Begonnen hat es vor Monaten in Nantes mit der Idee, dank Facebook einen gemütlichen Aperitif zu veranstalten. Innerhalb weniger Wochen wurde daraus ein eigentliches Modephänomen mit durchschlagendem Erfolg. Ein knapper Hinweis auf dem Social Network genügt, und dank des Schneeballprinzips der Facebook-Kontakte versammeln sich kurz darauf Tausende zum feuchtfröhlichen Stelldichein.

Rasch wurde eine Art Wettbewerb unter den französischen Provinzstädten daraus, in denen die Langeweile so groß sein muss wie diese Ansammlungen: Wer bringt am meisten trinkfeste junge Leute zusammen? In Montpellier waren es trotz Regens mehr als 12.000. Am nächsten Sonntag ist zum ersten Mal auch zu Füßen des Eiffelturms in Paris ein solches Gelage geplant.

Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, wenn dabei nicht erhebliche Ordnungs- und Sicherheitsprobleme entstünden. Jedes Mal landen Dutzende von „Schnapsleichen“ mit Alkoholvergiftungen in Krankenhäusern oder Ausnüchterungszellen. In Nantes starb sogar ein junger Mann auf dem Heimweg von einem solchen Massen-Aperitif, er stürzte von einem Fußgängerübergang zu Tode.

Die Behörden sind überfordert. Den „Organisatoren“ drohen sie mit Strafen, doch es ist sehr schwer auszumachen, wer jeweils hinter den fast spontanen Anlässen steckt. Amtliche Verbote haben sich als ineffiziente Schnapsidee erwiesen. Die Jugendlichen kamen trotzdem.

Gedanken über das Phänomen macht sich auch die Soziologin Monique Dagnaud: Sie sieht darin einen Versuch der Jugendlichen, „den Erwachsenen ihre Existenz in Erinnerung zu rufen“ und so kollektiv auf die Gegenwart anzustoßen, statt an eine für sie ungewisse Zukunft zu denken. In den Sinn kommt da der historische Satz eines Journalisten am Vorabend des Mai 68: „Frankreichs Jugend langweilt sich“. RUDOLF BALMER