„Die Frauen werden eingeschüchtert“

Zwangsprostituierte gehen eher in den Knast statt gegen ihre Zuhälter auszusagen, so Sozialarbeiterin Julia Stolz

taz: Frau Stolz, Sie wollten nicht, dass wir ein Foto von Ihnen abdrucken - um ihre Klientinnen zu schützen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Julia Stolz: Wir betreuen Frauen, die höchst gefährdet sind. Nachdem sie bei einer Razzia festgenommen wurden, werden sie von ihren Zuhältern gesucht. Oder wenn die Frauen es tatsächlich geschafft haben, zu fliehen. Für die Menschenhändler ist es von großem Interesse, dass sie nicht aussagen. Ich habe Gott sei Dank noch keine Frau beraten, die von ihrem Zuhälter gefunden wurde. Was man wissen muss: Die Menschenhändler kommen oft aus dem selben Heimatland wie die Frauen und wissen sehr genau, wo deren Familien leben. Damit können sie jede Frau einschüchtern.

Wie sicher sind denn die Frauen bis zur Aussage vor Gericht bei Ihnen abgeschottet?

Manche Frauen haben zunächst ausgesagt und später ihre Aussage vor Gericht zurückgezogen. Sie haben mir gegenüber nicht zugegeben, dass sie eingeschüchtert wurden. Aber es gab von unserer Seite aus deutliche Verdachtsfälle. Wir können es den Zuhältern allerdings nicht nachweisen. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir kümmern uns in erster Linie um die Opfer, nicht um die Strafverfolgung.

Wie kann es sein, dass die Frauen, die Opfer sexueller Ausbeutung waren, sich plötzlich in der Abschiebehaft wiederfinden?

Das passiert, wenn die Polizei bei der Festnahme der Frau keinen Verdacht auf Zwangsprostitution hegt. Viele Frauen werden von den Zuhältern so eingeschüchtert, dass sie bei der Polizei gar nicht aussagen. Die Menschenhändler sagen denen: „Ihr kommt dann in den Knast, die Polizei hilft euch nicht“. Die Frauen kommen häufig aus Ländern, in denen die Polizei korrupt ist. Also vertrauen sie hier dem System auch nicht. So gelten sie als Illegale und gehen in den Knast.

Was sind die größten Hemmnisse in Ihrer Arbeit ?

Zunächst einmal sind das momentan noch die Kettenduldungen. Die meisten Frauen sind bis zur Gerichtsverhandlung nur geduldet und dürfen hier nicht arbeiten. Sie werden behandelt wie Asylbewerberinnen. Das heißt, sie bekommen nur lächerliche 184 Euro monatlich. Manche Ermittlungsverfahren dauern aber drei Jahre. So hat die Frau drei Jahre lang keine Chance auf Arbeit, Weiterbildung oder sich auch nur ein halbwegs geregeltes Leben hier aufzubauen, während sie darauf wartet, vor einem deutschen Gericht auszusagen. Das ist menschenunwürdig. Wir machen uns große Sorgen, dass das Thema Zwangsprostitution nach der WM von der Agenda verschwindet. Wir haben auch in ein paar Jahren noch mit den Frauen zu tun, die in den nächsten Monaten festgenommen werden. INTERVIEW: JANA TOSIC