Kein Schutz vor Hurenhändlern

NRW ist auf einen Anstieg der Zwangsprostitution während der WM nicht vorbereitet: Es fehlt an Polizistinnen, Beratungsstellen sind wegen mangelnder Gelder nachts nicht zu erreichen

AUS DÜSSELDORFJANA TOSIC

Einen Monat vor der Fußball-WM müssen Beraterinnen und Polizei feststellen, dass dass das Land NRW den Zwangsprostituierten keinen ausreichenden Schutz bieten kann. „Wir brauchen ein bundeseinheitliches Schutzprogramm für Opfer von Menschenhandel und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für sie“, forderte Heike Rudat vom Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK) gestern auf einer Fachtagung der Grünen-Fraktion im Landtag zum Thema Menschenhandel.

Verschleppt, vergewaltigt und traumatisiert, hätten die Frauen nach der Festnahme wenig Vertrauen zu der deutschen Polizei und Justiz und kaum eine Motivation, gegen die Täter auszusagen. Ganz im Gegenteil: Wegen illegaler Einreise und Dokumentenfälschung gelten sie häufig selbst als Täterinnen.

Es sei ein Skandal, dass derzeit das öffentliche Interesse an einer aussagewilligen Zwangsprostituierten mit der Gerichtsaussage ende, bemerkte Jae-Soon Joo-Schauen von der Frauenberatungsstelle Agrisa in Köln. Nach der Aussage würde abgeschoben.

Zeugenschutzprogramme greifen bei Zwangsprostituierten nicht, für sie gilt das Asylbewerbergesetz. Und das schreibt Residenzpflicht in der zugewiesenen Stadt vor. Kontraproduktiv, wenn der Zuhälter gegen den das Opfer aussagen soll, in derselben Stadt aktiv ist.

Wie viele Zwangsprostituierte zur Fußball-Weltmeisterschaft zusätzlich nach NRW geschleust werden, ist unklar. Die jüngst in der Presse umhergeisternde Schätzung von über 40.000 hält Dieter Schürmann vom Landesinnenministerium für unseriös. Sicher ist aber, dass die 40.000 Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen nicht alle geschult sind für eine wirksame Strafverfolgung bei Menschenhandel.

„Wir brauchen qualifizierte, vor allem auch weibliche Polizisten bei den Razzien“, fordert Heike Rudat vom BdK. Weder für die betroffenen Frauen noch für die weitere Strafverfolgung sei es hilfreich, wenn so manch ein Polizeibeamter nach der Festnahme einer Zwangsprostituierten frage: „Weiß Ihr Mann eigentlich, was Sie hier machen?“. Es fehle, so Rudat, in manchen Dienststellen noch an der nötigen Sensibilität. Zwar gebe es einen hohen Anteil an Polizeibeamtinnen, doch die befassten sich bislang selten mit Rotlichtkriminalität.

Ohne Zugang zu den Opfern, oft den einzigen Zeuginnen, wird es keine wirksame Strafverfolgung geben, weiß auch Schürmann. Obwohl der Menschenhandel weltweit zunehme und die Gewinne mit denen des Drogenhandels konkurrierten, sinke die Zahl der verfolgten Fälle.

Das heißt: Die Menschenhändler professionalisieren sich, nicht aber die Strafverfolgung und Justiz. Und so findet sich manche sexuell Ausgebeutete statt in psychologischer und medizinischer Betreuung in Abschiebehaft wieder.

Zur WM reagieren vor allem die Frauenberatungsstellen mit breitgestreuten Informationsständen, da wo die Freier sich aufhalten werden: an Großbildschirmen, auf öffentlichen Plätzen und an den Stadien. Die Frauenberaterinnen hoffen auf die Mithilfe der Freier, die sich zwar vergnügen wollen, aber dies nicht mit einer Zwangsprostituierten. So gewännen Freier als Zeugen an Wichtigkeit. Doch die wichtigsten Zeugen bleiben die sexuell ausgebeuteten Frauen selbst. Und für die gibt es nicht einmal eine bundeseinheitliche Hotline. „Während der Fußball-WM sind vier, fünf konkurrierende Leitungen verschiedener Beratungsstellen freigeschaltet. Das verwirrt die Betroffenen in ihrer Not nur noch“, stellt Heike Rudat fest.

Außerdem sind viele Beratungsstellen nachts nicht erreichbar – es scheitert am Geld. „Würde es sich um Terrorismusbekämpfung handeln, wäre die personelle und finanzielle Aufstockung längst beschlossene Sache“, sagt Rudat. Doch leider hielten die Innenminister offenbar Frauenhandel immer noch für ein Frauenthema. „Doch Frauenhandel ist ein Männerthema. Denn Männer sind die Täter“, so Rudat.