Pflege und Neuerung

FÜHRUNGSWECHSEL Seine Sache gut gemacht: Nach 13 Jahren als Generalintendant verlässt Wolfgang Gropper Braunschweig. Und hinterlässt eine reichlich hoch gehängte Messlatte für seinen Nachfolger

Seine Haupttugend ist intellektuelle Redlichkeit. Am Ende dieser Spielzeit verlässt Wolfgang Gropper als Generalintendant das Braunschweiger Staatstheater. 1997 dort hingekommen, hat er seine Sache gut gemacht.

Gropper, von Haus aus Jurist und Schauspieler, ist vor allem Regisseur. Am besten war er immer dann, wenn er Volksstücke inszenierte. Jörg Grasers „Zahngold“ zu Beispiel, 1989. Der Dramatiker behauptete, der faschistische Ungeist herrsche bei uns auch heute noch fort. Die öffentliche Reaktion war eindeutig: Graser sollte übertrieben haben. Wer aber die Figuren sah, die 1989 noch in einer alten Kaserne in Groppers Uraufführungsinszenierung auftraten, wusste: Das ist authentisch niedersächsisch. So isses hier!

Dabei ist Gropper gar kein Niedersachse. Vielleicht hat der 1944 in Prien am Chiemsee Geborene als Landesfremder einen so klaren Blick. Die Spielstätte in der Kaserne ersetzte ab 1996 ein richtiges Kleines Haus, einen Steinwurf vom Großen Haus entfernt – ein Anlass für tief empfundene Befriedigung nicht nur seitens des Generalintendanten.

Ohne Aufwand plausibel

Dort inszenierte Gropper ein anderes Volksstück, das wieder nicht hinreichend gewürdigt wurde, auch wenn Oliver Bukowski dafür 1999 den Dramatikerpreis bekam: die „Gäste“. Wie der Kapitalismus in seiner kleinsten Ausprägung noch alle Selbstachtung zerfrisst, macht Bukowski ohne großen Aufwand plausibel. In seiner Inszenierung zeigte Gropper, dass das Dorf, in dem die Menschenwürde auf dem Altar des wirtschaftlichen Erfolgs geopfert wird, auch im Braunschweigischen liegen könnte. Der Mainstream der Kritik hielt sich Bukowski vom Leibe, indem sie ihn als Spezialist für die ehemalige DDR marginalisierte. Gropper aber bewies: Der Dramatiker Bukowski schreibt Stücke für und über das ganze Deutschland.

Seine Stärke als Intendant: Gropper kann auswählen, welche Stücke er aufführt und sein Ensemble zusammenstellen. Bei beidem hatte er eine glückliche Hand. Den besten Beweis lieferte er 2003 mit seiner Inszenierung von Goethes „Faust“, gespielt – natürlich – als Volksstück. Nele Ziebarth spielte die Margarete da spektakulär unspektakulär. Gropper hat trotz des Erfolgs, den seine Inszenierung damals bei Publikum und der Kritik fand, nie den Faust II inszeniert – vielleicht eine kluge Bescheidung. Apropos: An keiner Inszenierung hat er sich je übernommen.

Das Schauspiel ist Groppers Feld – er hat es auch für die Stadt, in der er derzeit noch arbeitet, fruchtbar gemacht. Auf Braunschweig bezogene Stücke waren zu sehen. Peter Schanz, erst Dramaturg und künstlerischer Direktor, dann immer wieder als freier Autor hinzugezogen, bearbeitete etwa Wilhelm Raabe fürs Theater – ein Strang, der weiter zu verfolgen wäre …

Auch in Sachen Oper gab es neben der Pflege des kulturellen Erbes Neuerungen, vor allem aber, umso energischer, beim Tanz: Gropper engagierte Eva-Maria Lerchenberg-Thöny, eine Choreographin, die klar umrissene Geschichten erzählt. Sie hat ein Tanzfestival ins Leben gerufen, das sich sehen lassen kann – aber auch im Schatten des Festivals „Movimentos“ steht, die in Wolfsburg über die Bretter gehen. „Movimentos“ wird von der „Autostadt“ veranstaltet, einer „Kommunikationsplattform“ – in vulgo: Reklameschau – des Volkswagen-Konzerns. Während dort Geld im Überfluss die großzügigste Auswahl ermöglicht, fehlen in Braunschweig Cents an allen Ecken und Kanten.

Privater Reichtum – öffentliche Armut. An diesem seit Jahrzehnten in Deutschland herrschenden Skandal litt und leidet auch das Braunschweiger Staatstheater. Gropper nahm Mittelkürzungen hin – und glich sie durch künstlerische Leistung aus. Die niedersächsische Landesregierung konnte sich die Hände reiben: Es geht also auch mit weniger Geld. Vielleicht war es eine Schwäche Groppers, finanzielle Zumutungen fast geräuschlos zu schlucken.

„Fidelio“ in Burma

Im Schauspiel verabschiedete sich der scheidende Generalintendant schon zu Anfang der Spielzeit mit Tschechows „Kirschgarten“ – eine geschlossene Ensembleleistung. Im 2. Akt hört man ein Geräusch: „Plötzlich ertönt von weit her ein Laut, der vom Himmel zu kommen scheint: der Laut einer zerspringenden Saite, verklingend, traurig.“ Zum Schluss will Gropper es offenbar noch mal wissen. Nachdem er sich stets als Regisseur gezeigt hat – und bewährt –, der sich Autor, Text, Schauspielern, vor allem aber seinem Publikum verpflichtet fühlt, hat er vor, „Fidelio“ nach Burma zu verlegen.

Groppers Nachfolger wird Joachim Klement. Gropper hat ihm die Latte hoch gehängt. Verdammt hoch! ULRICH FISCHER