Die Aura der Chefin

HARFENGEWIRK Joanna Newsom ist toll, ihre Band aber leider nicht. Am Montag stellte die singende Harfenistin im Admiralspalast ihr neues Album vor

Was für ein merkwürdiger Abend. Joanna Newsom war in der Stadt, deren vor wenigen Monaten erschienenes drittes Album allüberall Lobpreis eingefahren hat – als schon jetzt kaum mehr zu überbietendes Popgroßereignis des Jahres. Die 28-Jährige aus dem kalifornischen Hinterland hat darauf 18 Songs versammelt, die insgesamt mehr als zwei Stunden Laufzeit und drei CDs benötigen und tatsächlich ein kaum fassbarer, wunderschöner, federleicht deeper Nachweis von überaus originärem Songwriting, Texten, Singen und Musikalischsein sind. Mit diesem großen Wurf ist Joanna Newsom auf Tour. Am Montagabend stand der lang erwartete Auftritt im Admiralspalast an.

Handwerklich fraglich

Punkt acht schlossen die Saalordner rigoros die Türen, eingepfercht war man hernach dem ausgeliefert, was Joanna Newsom für eine angemessene Introduktion zu halten schien: Erst durfte ihr allzeit jeden Körperknick im 90-Grad-Winkel haltender Gitarrist und Arrangeur Ryan Francesconi an seinem Saiteninstrument eine handwerklich fragliche Emulation der „Augsburger Puppenkiste“-Titelmelodie zupfen, danach führte Drummer Neal Morgan eine hospitalistisch anmutende Pseudojazzavantgarde vor, bei der man erst lachen wollte, sich aber doch in Fremdscham wand. Als Frau Newsom dann weiter auf sich warten ließ, artikulierte sich pfeifender Volkszorn. Als sie schließlich im knielangen Hängerchen und bis zum Po fallenden Haar auf die Bühne schritt, wurde sie von Buhrufen empfangen.

Sie aber strahlte ins Publikum, fand lobende Worte fürs vorab Dargebotene und stieg unbefangen in „81“ ein, das Stück, in dem sie in ihrem Garten Eden eine Party schmeißt, zu der auch der heilige Georg und sein Drache kommen dürfen. Sehr schnell war wieder glasklar: Diese Frau ist umwerfend. Ihre Stimme, die mit perlender Selbstverständlichkeit alle Register zwischen vernebelt und kristallklar durchwandert, spinnt auch im Live-Modus jede Zuhörerin binnen Sekunden in einen zauberischen Kokon. Ihr Harfespiel ergänzt das Gesungene zu einem irisierenden Gewirk. Wäre sie doch bloß alleine auf der Bühne gesessen!

Jugend musiziert

Aber dann kam die Band. Unsubtil wummerten die Pauken, der rotzige Posaunist fand sich toll, war’s aber nicht, zwei Geigerinnen strichen brav, und Francesconi gab einen scheußlich verspannten Musterschülermusikanten, der sein Jugend-musiziert-Quintett durch die Arrangements führte, die sich auf der Bühne – im Gegensatz zur Platte – in einer unguten Banalität zeigten. Man war dann ständig damit befasst, alle anderen als Frau Newsom auszublenden, was auf die Dauer ermüdend wurde. Ob beim kunstvoll erzählenden Album-Titelstück „Have One On Me“, ob bei einem der Hillbilly-Walzer und -Woogies, bei der Newsom sich am Klavier begleitete, oder beim neu aufgelegten „Monkey & Bear“ vom letzten Album, das Begleitpersonal nagte an der Aura der Chefin, die das lieblich lächelnd nicht zu bemerken schien.

Als nach knapp zwei Stunden mit „Baby Birch“ die Zugabe kam, hatte man nur noch blöde Fragen im Kopf: Wo hat Joanna Newsom ihre Ohren? Sprudelt die Hochbegabung aus ihr derart ungefiltert, dass sie die Qualitätsunterschiede zwischen sich und ihrer Entourage gar nicht hört? Ist sie doch mehr Hippie-Elfe, als man unterstellen wollte? Man hätte diese Facette der Großartigen gerne nicht gesehen. KIRSTEN RIESSELMANN