Straftäter werden abgeschoben

Schwer therapierbare Patienten im Maßregelvollzug sollen in so genannte „Longplay-Stationen“ abgeschoben. Sparpläne der Landesregierung sorgen für Unruhe bei Verbänden und Opposition

VON MICHAEL KLARMANN
UND HOLGER PAULER

Der Bundesverband „Pädagogik in der Forensik“ warnt vor einem Paradigmenwechsel im Maßregelvollzug in den forensischen Kliniken. Man befürchte, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes, Florian Johanning, dass in Nordrhein-Westfalen in allen speziell gesicherten Psychiatrien „Longstay-Stationen“ eingerichtet werden. In diesen sollten als nicht therapierbar eingestufte Patienten weniger betreut werden als andere Insassen.

Gesetzlich vorgegebenes Ziel der Inhaftierung von psychisch oder suchtkranken Straftätern ist es, diese wieder in die Gesellschaft zu integrieren. In den „Longstay-Stationen“ – derzeit laufen Pilotprojekte in den Forensiken in Düren und Lippstadt-Eickelborn – werde der „Gedanke der Resozialisierung zurückgenommen“, sagte Johanning. In diesen Einrichtungen sollten Patienten mit „geringem Behandlungsbedarf“ nur noch verwahrt werden. Pädagogikprogramme, die neben Allgemeinwissen auch lebenspraktische und soziale Kompetenz vermittelten, drohten abgebaut zu werden, warnte Johanning in Aachen am Rande der 14. Bundesfachtagung der PädagogInnen in der Forensischen Psychiatrie.

Hintergrund der befürchteten Einführung von „Longstay-Stationen“ in allen NRW-Forensiken seien Sparvorhaben, sagte Johanning der taz. „Ausgesonderte Patienten“ sollten nur noch ein „Minimalangebot“ bei Betreuung und Pädagogik erhalten. Zwar werde von seiten der Anstaltsleitungen und Politik beteuert, Menschen könnten sich bewähren und diese „Endstationen“ auch wieder verlassen. Aber wie solle jemand das schaffen, ohne Betreuung und Perspektive, fragte Johanning.

Fraglich sei überdies, ob „Longstay-Stationen“ zu Einsparungen führten. Johanning, der in der Forensik im niedersächsischen Moringen arbeitet, sagte, dort würden 90 Prozent der Patienten spätestens nach zehn Jahren wieder entlassen, gut die Hälfte davon schon nach sechs Jahren. Fraglich sei daher, ob eine Verwahrung bis ans Lebensende letztlich für die Allgemeinheit nicht viel teurer sei. Überdies drohe in den Anstalten auf den „Longstay-Stationen“ ein Anstieg regelwidriges Verhalten, was die Sicherheit innerhalb und außerhalb der Mauern gefährde.

Die Sparvorhaben der schwarz-gelben Landeregierung verstärken die Befürchtungen: Im laufenden Jahr müssen die fünf neu geplanten forensische Kliniken (siehe unten) auf einen Teil der zugesicherten Landesgelder verzichten. Die Kürzungen sollen Mitte Mai im Landeshaushalt für das Jahr 2006 beschlossen werden. Für den Standort Münster stellt das Land statt 16,5 Millionen Euro nur noch 14,5 Millionen Euro bereit. Duisburg und Köln müssen ein Prozent der veranschlagten Kosten einsparen. Herne und Essen befinden sich nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums noch in Verhandlungen. Ursprünglich sollten die Forensiken spätestens 2009 ihren Betrieb aufnehmen. „Die Einsparungen werden natürlich nicht auf Kosten der Sicherheit gehen“, sagte Ulrich Lensing, Sprecher des NRW-Gesundheitministeriums.

„Durch die Kürzungen können Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Birgit Fischer, vor einigen Wochen zur taz. Sie hatte als Gesundheitsministerin der abgewählten rot-grünen Landesregierung das Konzept der Dezentralisierung im Maßregelvollzug in die Wege geleitet. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte sich bei seinem Amtsantritt zum Konzept der dezentralen Kliniken bekannt. Daran will er auch jetzt nicht rütteln. „Wir werden das Thema nicht von der Tagesordnung nehmen“, sagt Ministeriumssprecher Lensing. Gespart wird trotzdem.