Auf der Suche nach der Basis

RUGBY Die deutsche Auswahl strebt mit neuem Trainer dem Aufstieg aus der Drittklassigkeit entgegen. Manche träumen schon von der WM-Teilnahme in England

„Wir haben gesehen, was eine gute Teamstruktur bewirken kann“

BUNDESTRAINER POTGIETER

AUS BERLIN CHRISTIAN HENKEL

Rugby ist Männersport. Doch so hart, wie es bei einem Spiel auf dem Platz zugeht, so bärchenhaft-kuschelweich ist die Atmosphäre bei den traditionell folgenden Banketts. Die Höflichkeit geht dann sogar so weit, dass, wie am Sonnabend in Berlin-Hohenschönhausen, der Präsident des Deutschen Rugby-Verbandes, Ian Rawcliffe, sagt: „Die Polen hatten heute sehr gute Individualisten auf dem Platz, aber wir ein Team“, und für diese tröstenden Worte von seinem polnischen Amtskollegen fast zärtlich in den Arm genommen wird.

Vorausgegangen war nicht etwa ein freundschaftlicher Vergleich der beiden Nationalteams, sondern das Topspiel der Division 1B des European Nations Cus (ENC). Durch das klare 43:13 ist der Aufstieg in die Division 1A, der höchsten europäischen Amateur-Spielklasse in greifbare Nähe gerückt. Doch die Träume der deutschen Rugby-Liebhaber reichen längst bis zur nächsten Weltmeisterschaft, die 2015 in England ausgetragen wird.

Größter Hoffnungsträger auf diesem Weg ist der Südafrikaner Frederik Jacobus Potgieter. Der erst 31-Jährige hatte im April dieses Jahres das Amt des Nationaltrainers übernommen und sofort Veränderungen vorgenommen. Als Cheftrainer von Deutschlands dominierendem Rugbyclub der vergangenen Jahre, dem Heidelberger Ruderklub, waren ihm die Schlüsselspieler des aktuellen Nationalmannschaftskaders mehr als vertraut. Und auch deren größte Baustelle: die Verteidigungslinie. Nach Potgieter hat man sich in Deutschland „eben immer auf die starken Jungs verlassen. Aber wir wollen die reine Physis in den kommenden Jahren durch mehr spielerische Klasse ersetzen.“

Gerade im Spiel gegen die Polen war die Handschrift des Südafrikaners schon deutlich zu sehen. „Gegen ein physisch überlegenes und deshalb eigentlich auch favorisiertes Team aus Polen haben wir gesehen, was eine gute Teamstruktur bewirken kann“, so Potgieter. „Wir haben den Gegner deshalb sogar in der ersten Halbzeit dominiert, als wir noch gegen den Wind spielten.“

Der Wind. Wenn die deutsche Rugby-Nationalmannschaft zu einem Länderspiel antritt, dann spielt man eben auf diesen zugigen Sportanlagen, auf denen den Männern der Wind entgegenweht. 3.000 Zuschauer, wie am Wochenende in Hohenschönhausen, sind da schon ein Erfolg. Rugby ist in Deutschland Amateursport. Manche Nationalspieler müssen für Länderspielreisen Urlaub nehmen. Die Herkunft der Auswahlspieler begrenzt sich auf die vier Städte Hannover, Frankfurt, Pforzheim und vor allem Heidelberg. Die fünf Rugbyvereine aus der Universitätsstadt am Neckar füttern die Nationalmannschaft seit Jahren mit ihren Talenten. Doch für ein international wettbewerbsfähiges Nationalteam müsste Rugby in Deutschland eigentlich auf einer breiteren Basis stehen. „Und dafür“, so Potgieter, „war ich dann schon überrascht, wie viel Talente in Deutschland doch vorhanden sind.“

Und doch sagt der Trainer: „Bevor wir über die WM nachdenken, sollten wir erst mal nachweisen, dass wir gegen Teams, wie Russland, Rumänien oder Georgien bestehen können.“

Für Alexander Widiker, den deutschen Kapitän, der gegen Polen zehn Punkte einfahren konnte, wäre es vor allem wünschenswert, wenn mehr deutsche Spieler den Weg ins Ausland antreten würden. Momentan spielt lediglich Prop Julius Notstadt bei Olympique Universitaire in Lyon. „Bei uns wird der Wechsel zum Beispiel nach Frankreich oder England automatisch mit der Frage kombiniert, was dann aus Ausbildung und beruflicher Perspektive wird“, so der gebürtige Kasache, der selbst lange beim RC Orleans in der dritten französischen Liga spielte. „Rumänen oder Georgier, an denen wir uns messen sollten, gehen dieses Wagnis viel häufiger ein.“

Als reine Utopie will Widiker die WM in England allerdings nicht abtun. „Wir brauchen noch ein bisschen größere Qualität in den Angriffsreihen, dann sehe ich uns auf Augenhöhe mit den Teams der Division 1A. Und wenn man die schlägt, ist man in England mit dabei.“

Dem deutschen Rugby könnte die erstmalige Teilnahme an einer WM einen gewaltigen Popularitätsschub verleihen. Bei den Länderspielen könnte man dann vielleicht auf größere Polizeiaufgebote verzichten. In Hohenschönhausen hatten sich polnische Hooligans angekündigt, um sich mit den Kolle- gen des BFC Dynamo zu einer dritten Halbzeit zu verabreden. Dazu kam es am Ende nicht. Genügend Einsatzkräfte waren dennoch vor Ort. „Wahrscheinlich haben wir damit den Weltrekord bei einem Rugbyspiel gebrochen“, sagte Pressesprecher Matthias Hase. „Beim heutigen Länderspiel Frankreich gegen Neuseeland werden wahrscheinlich 60.000 Zuschauer sein und noch nicht mal halb so viel Polizei.“