Via Rajasthan nach Wien

OSTEUROPÄISCHES KINO I Das Filmfestival von Cottbus legte in diesem Jahr besonderen Wert auf Filme, die von Sinti und Roma in der Außenperspektive erzählen – oder von ihnen selbst gedreht werden. Finanziell unterstützt wird ihr Schaffen von dem Netzwerk IRFC

Der britische Filmemacher Damian James Le Bas lässt in „Acimato Tan“ eine Romni per Stopptrick auftauchen und verschwinden

VON MICHAEL BAUTE

Am Sonntag ist in Cottbus das 23. Festival des osteuropäischen Films zu Ende gegangen. Zweieinhalb Tage war ich dabei, mein erstes Mal in der Stadt, in der alle öffentlichen Hinweis- und Wegtafeln zweisprachig sind, Deutsch und Sorbisch. Auch die Gespräche der Besucher und die der akkreditierten Gäste, die einem bei den Wegen durch die Stadt und in den Foyers der Spielstätten begegneten, waren nicht vom Englischen überlagert, das ich kaum vernahm. Stattdessen war da ein Gewimmel der vielen osteuropäischen Sprachen, die ich nicht verstehe. Mit der Zeit meinte ich aber, sie etwas auseinanderhalten zu können, wegen der Filme, die ich sah – Produktionen aus Ungarn, Tschechien, Slowenien, Kroatien, Albanien, Bulgarien, Ukraine, Moldau, Kosovo, Mazedonien, Polen.

Nur beim rumänischen Wettbewerbsfilm „Roxanne“ von Vali Hotea, der eine Geschichte von den späten Nachwirkungen der Bespitzelungen der Securitate erzählt, meinte ich etwas mehr zu verstehen, weil viele Worte aus dem vielen Sprechen der Figuren in dem Film mich an das Französische erinnerten. Der vom rumänischen HBO koproduzierte Film inszeniert klar, ruhig und verstörend nachvollziehbar, wie sich das vermeintlich vergangene Politische als böser, dunkler Schatten aus Misstrauen und Unsicherheit auf das Leben einiger Mittelschichtfiguren aus dem heutigen Bukarest legt. Dem Film gelingt dabei, das Selbstverständnis und die Beziehungen der Figuren auf eine fragile Weise in der Schwebe zu halten.

Kiffen und Radau machen

Zunächst gar nicht fragil und weitaus energetischer inszeniert ist Goran Vojnovic’ „Cefurji raus!“, eine Produktion aus Slowenien und Kroatien. Der Film erzählt vom 16-jährigen Marko und seinen Freunden, die in einer Hochhaussiedlung in Ljubljana leben, kiffen und Radau machen. Sie sind „Cefurji“, Einwanderer der zweiten Generation. Der 1980 geborene Vojnovic, der auch der Verfasser der in Slowenien 2008 vielbeachteten Romanvorlage des Films ist, lässt die Geschichte zunächst wie ein typisches Jugend-Genre-Stück beginnen, scheinbar ohne jedwede künstlerische Ambition, stattdessen mit kraftmeierischen Video-Einspielungen und bisweilen unmotiviert wirkenden, von leerer Darstellungsenergie strotzenden Kamerabewegungen. Doch nach und nach weiß der Film die anfänglich aufgebauten Klischees in Form und Inhalt geschickt abzubauen und taucht immer stärker in die verwirrende, widersprüchliche Erfahrungswelt seiner jugendlichen Protagonisten ein.

Die Dynamik der Musik

Auf dem Festival interessierte mich vor allem der Fokus auf Sinti und Roma im aktuellen osteuropäischen Kino. Unter dem Titel „‚Dikhen!‘ – Lasst uns hinschauen!“ hatte der Festivalleiter Bernd Buder 24 Produktionen ausgewählt, in denen unterschiedliche Perspektiven auf die Sinti-und-Roma-Thematik zu sehen waren. Das waren vollkommen unterschiedliche Filme. Der österreichische „Gypsy Spirit: Harri Stojka – Eine Reise“ von Klaus Hundbichler, den das Publikum im wunderschönen Jugendstilkino Weltspiegel in der Cottbuser Innenstadt beherzt betrachtete, verfolgt den Wiener Gypsy-Weltmusiker Stojka auf seiner Reise zu den Ursprüngen seiner Musik ins indische Rajasthan. Dort spielen Stojka und sein Kollege Mosa Sisic Sessions mit ansässigen Musikern, was schließlich zu einem Super-Roma-Konzert im heimischen Wien führt.

Bisweilen konnte einem dabei die Trotteligkeit des zur Auflockerung als Buddy-Movie inszenierten Films nerven, doch die Dynamik der Musik ließ schließlich selbst die angeberischen Kamerakranfahrten vergessen, mit denen der Film die Musik oft einzufangen sucht.

Hundsbichlers Film ist einer von vielen, die eine Außenperspektive auf Sinti und Roma werfen. Aber nicht nur Filme über, sondern auch von Sinti und Roma wurden auf dem Festival gezeigt. So handelte eine Informationsveranstaltung des Festivals von der neu gegründeten International Romani Film Commission (im Netz: http://irfc.info/). Die IRFC, eine transnationale Gruppe, die sich vor zwei Jahren in Berlin formierte, versteht sich als Netzwerk, das die Kommunikation, das Selbstverständnis und den Zugang zu Produktionsressourcen von internationalen Roma- und Sinti-Filmemachern optimieren will. Bei der Präsentation wurden kurze, 30-sekündige Trailer von einzelnen Mitgliedern der IRFC gezeigt, die die Bandbreite der Perspektiven und Handschriften deutlich werden lassen. So dekonstruiert beispielsweise Lidija Mirkovic’ Beitrag die ikonische Darstellung der erotisierten Zigeunerin à la Carmen. Eine ähnliche Strategie des Aufbrechens herkömmlicher Wahrnehmung verfolgt der britische Filmemacher und Rom Damian James Le Bas mit seinem Kurzfilm „Acimato Tan“ (Rastplatz), in dem eine Romni per Stopptrick im Bild auftaucht und immer wieder verschwindet.