Die Früchte hängen hoch

Mindestens jeder zehnte Erntehelfer muss dieses Jahr Deutscher sein, hat der Arbeitsminister verfügt. Trotzdem gibt es kaum Inländer auf den Feldern, vermelden die Spargelanbauer

von KLAUS IRLER

Jan Köpke hatte es kommen sehen. Ob es realistisch sei, dass dieses Jahr zehn Prozent der Erntehelfer aus Deutschland kommen, wie es Arbeitsminister Franz Müntefering wünscht? „Das ist absolut unmöglich“, prophezeite der Obstbauer aus dem Alten Land schon Mitte März. Zwei Monate später ist nun zwar nicht das Obst, aber der Spargel reif für die Ernte. Und was das Edel-Gemüse betrifft, hatte Köpke offensichtlich recht. „Ich kenne keinen Berufskollegen, der die versprochenen zehn Prozent deutsche Arbeitskräfte erhalten hat“, sagt Dietrich Paul, Vorsitzender der Vereinigung der Spargelanbauer, die in Niedersachsen mehr als 700 Produzenten vertritt.

Praxis ist, dass die Erntehelfer hierzulande fast durchweg aus Osteuropa kommen. Ende 2005 hatte nun Arbeitsminister Müntefering angeordnet, dass die Bauern diese Saison mit höchsten 90 Prozent Osteuropäern arbeiten dürfen – die anderen zehn Prozent müssen Deutsche sein. Das soll die Arbeitslosenquote senken. Trotz dieser Vorgabe und härterer Hartz-IV-Gesetzgebung aber stellt Paul fest: „Von den Deutschen ist keiner bereit, für die Ernte aufs Feld zu gehen.“

Die Folge: Den Spargelanbauern fehlten Arbeitskräfte und der Spargel könne vielerorts nicht rechtzeitig gestochen werden. Den meisten Betrieben bleibe nichts anderes übrig, als mit den erlaubten 90 Prozent der Arbeitskräfte aus Osteuropa auszukommen. Seine Deutschen Arbeitskräfte könne er nur im Verkauf einsetzen, sagt Paul. „Da machen die keine Probleme.“

Auf dem Feld aber, so die Erfahrung der Bauern, hielten die Deutschen die harte Arbeit nicht durch und hätten sich reihenweise krank schreiben lassen. „Bis zu zehn Stunden am Tag bei Wind und Wetter, sieben Tage die Woche, das ist für die zu schwer“ sagt Paul. Dazu komme die Einstellung der Deutschen: „Die denken, was die Ausländer machen, müssen wir nicht machen.“ Und drittens spielt das Geld eine Rolle: 5,42 Euro zahlen die Bauern pro Stunde. „Für die Polen ist das eine Jahresgage, was sie hier in einem Monat verdienen“, sagt Obstbauer Köpke.

Spargelanbauer Paul fordert deshalb „die völlige Freizügigkeit für Erntehelfer aus EU-Beitrittsländern“. Das würde nicht nur die Abschaffung von Münteferings Eckwert bedeuten, sondern auch das Ende der Diskussion über die Sozialversicherungspflicht: Derzeit müssten osteuropäische Erntehelfer 28 Prozent der Sozialabgaben selbst zahlen, ferner habe sich die Bürokratie verschärft. Die Polen seien deshalb verunsichert.

Wesentlich ändern wird sich diese Problematik in dieser Saison wohl nicht. „Die Bauern müssen mit 90 Prozent ausländischen Helfern klarkommen. Es wird keine zusätzlichen Helfer aus Osteuropa geben“, sagt Ilona Kramer von der Agentur für Arbeit in Stade. Die Quote steht – und in Stade wie auch in anderen Arbeitsagenturen arbeitet man emsig daran, sie zu erfüllen: Bewerberpools werden gebildet mit deutschen Arbeitslosen, die sich zur Erntehilfe bereit erklärt haben. Auch gibt es finanzielle Anreize, falls ein Arbeitsverhältnis zustande kommt: Pro Monat bekommen deutsche Erntehelfer eine Durchhalteprämie von 150 Euro – insgesamt hinzuverdienen dürfen Arbeitslose 200 bis 250 Euro. Vermittelt werden nur Freiwillige – dass alles andere sinnlos ist, hat man bei der Agentur inzwischen gelernt.

In der Region Stade, wo der Spargel eine eher kleine Rolle spielt, muss sich der Effekt erst noch zeigen: Bei Erdbeeren und Äpfeln geht hier die Ernte erst los. Von über 600 potenziellen deutschen Erntehelfern habe man bislang 45 an die Bauern vermittelt, sagt Kramer. Angefordert seien für die nächsten Monate weitere 270 Erntehelfer. Die Arbeitsagentur hat noch viel Arbeit vor sich.