„Ich saß zwischen allen Stühlen“

Vor 20 Jahren wurde Anita Gnielinski zur ersten Frauenbeauftragten in Berlin ernannt. Und zwar in Kreuzberg. Dort hatten die Grünen, damals noch als AL, die Frauenbeauftragte durchgeboxt. CDU und SPD setzten die Christdemokratin auf den Posten

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Frau Gnielinski, vor 20 Jahren wurden Sie zur ersten Frauenbeauftragten in einem Berliner Bezirk ernannt. Wie sind sie an den Posten gekommen?

Anita Gnielinski: Ich war eine unter etwa 30 Bewerberinnen auf die Stelle. Ein Mann war damals auch darunter. Der meinte, er könne die Arbeit so gut wie eine Frau. Ich glaube das nicht. Die Identifikation als Frau mit Frauen ist wichtig.

Konnten Sie damals mit dem Begriff Frauenbeauftragte überhaupt was anfangen?

Ich hatte ja Vorstellungen. Dass man sich kümmert. Dass man die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt einfordert. Ich bin seit dem 18. Lebensjahr berufstätig und habe selbst erlebt, dass Frauen in der Berufswelt benachteiligt sind. Das finde ich nicht akzeptabel.

Wurden Sie im Bezirk mit Ihrem Auftrag, Frauen zu fördern, ernst genommen?

Nicht gleich von Anfang an. Da dachte man: Was kann eine Frauenbeauftragte schon ausrichten? Später bin ich jedoch von den Abteilungen innerhalb des Bezirksamtes unterstützt worden.

Die Grünen, damals noch Alternative Liste, hatten die Frauenbeauftragte im Bezirk durchgesetzt. SPD und CDU einigten sich auf Sie. Sie waren Parteimitglied der CDU. Haben Sie sich zum Spielball der Parteien machen lassen?

Ich hatte schon das Gefühl, dass ich zwischen allen Stühlen sitze. Für die Kreuzberger CDU war ich viel zu fortschrittlich. Die Kreuzberger Fraktion stand nicht hinter mir. Und für die SPD und die Grünen war ich die CDU-Frau, mit der man nicht zusammenarbeitet. Viel zu viel Kraft und Zeit ging darauf, mich nach allen Seiten zu rechtfertigen. Die hätte ich besser verwenden können, um Frauen zu unterstützen. Später hat das Bezirksamt auch noch gewechselt. Es gab eine SPD-Grünen-Mehrheit. Da wurde mir die Arbeit schwer gemacht, weil man keine CDU-Frau auf dem Posten wollte, egal ob das den ratsuchenden Frauen letztlich geschadet hat. Die Sache war nicht mehr wichtig, nur noch die Politik.

Die Frauenprojekte standen Ihnen ebenfalls skeptisch gegenüber.

Mein Schwerpunkt war die Arbeitswelt. Mit den Projekten in dem Bereich war die Zusammenarbeit erfolgreich. Bei Wildwasser, dem Projekt für missbrauchte Mädchen, da hätte ich mehr machen können, da hatte ich damals nicht die Kompetenz, die zu unterstützen.

Hatten Sie ein klares Bild, welche Aufgaben eine Frauenbeauftragte hat?

Es gab Vorgaben. Die Frauenbeauftragte, hieß es, ist zuständig für die konzeptionellen und praktischen Fragen der Frauenförderung auf Bezirksebene. Sie soll im Einklang mit den Bezirksamtsmitgliedern darauf hinarbeiten, dass Frauen und Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichgestellt werden.

Haben Sie sich auch für Gewaltthemen stark gemacht?

Natürlich. Vergewaltigungen, Gewalt gegen Frauen, auch in der Ehe, das war ein ständiges Thema. Vieles, was die Frauen betroffen hat, Ausgrenzungen im Beruf, Gewalterfahrung, Probleme Alleinerziehender – das hatte ich ja selbst erlebt. Der Bürgermeister wusste das damals. Neben meiner Fachqualifikation hat dies wohl auch eine Rolle gespielt, dass ich die Stelle bekam.

Sie meinen, wenn man das selbst erlebt hat, weiß man besser, wie man die Frauen unterstützen muss?

Ja, ich war mit den Problemen vertraut und ich wusste, dass schnell gehandelt werden muss. Ich hab mir das Anliegen der Hilfesuchenden genau angehört und sie beraten, wie sie die ersten Schritte zur Selbsthilfe machen können. Man muss den Frauen Selbstbewusstsein vermitteln, damit sie in die Lage kommen, wieder aktiv zu werden. Scheidung, raus aus der Wohnung, Gewalterfahrung – da muss man unterstützen. Aber dass ihre Arbeitszeiten etwa den neuen Lebensumständen angepasst werden müssen, weil sie nun alleine wohnen, das sollten sie dann schon wieder selbst hinbekommen.

Sie haben also viel Beratungsarbeit mit einzelnen Frauen gemacht?

Genau das.

Dabei sollten Sie doch vor allem mit konzeptioneller Arbeit das Anliegen der Frauen voranbringen.

Das hab ich selbstverständlich auch gemacht. Ich habe mit anderen zusammen einen Frauenförderplan entwickelt, damit auch im Bezirksamt selbst die Frauen gleichberechtigte Teilhabe bekommen. Der Personalrat dort war eine Männerdomäne.

Wenn Sie frauenpolitisch nach vorne schauen, was muss dringend verbessert werden?

Die Missachtung, die etliche Jugendliche mit Migrantenhintergrund den Mädchen hier in Berlin entgegenbringen, schockiert mich. Das geht so nicht. Sonst, denke ich, sind Frauen heute schon viel selbstbewusster als früher. Leider meinen sie oftmals, sie brauchen keine Gleichstellungspolitik mehr. Aber wenn sie dann verheiratet sind und Familie haben, geht die Misere doch wieder los. Im Berufsleben ist es etwas besser. Wir haben schon mehr Frauen als früher in gehobenen Stellungen. Dagegen werden aber die Unterschiede in der Bezahlung wieder größer. Im politischen Bereich finde ich es natürlich toll, dass wir eine Bundeskanzlerin haben. Wie die sich durchboxt gegen die Männer, das bewundere ich.