schaut sich in den Galerien von Berlin um

MARCUS WOELLER

Der Dokumentarfilm „In Between“ fand Anfang des Jahres den passenden Titel für den Metazustand, den Richard Deacon an Skulpturen interessiert. Denn Deacon ist kein klassischer Bildhauer, der wie weiland Michelangelo die Skulptur schon im Stein verborgen erkannte und sich praktisch nur noch um deren plastische Freisetzung bemühte. Deacon fertigt auch keine Entwürfe an; er entwickelt die Formen im Kopf. Die Skulptur soll frei entstehen. Claudia Schmid zeichnete in ihrem Film ein intensives Porträt des britischen Künstlers, für das sie ihn zwei Jahre lang bei der Planung und Entwicklung seiner Arbeiten beobachtete, zum Beispiel der großformatigen Skulptur „Congregate“. Sie scheint sich nun in ihre Einzelteile zersplittert zu haben, farbig gefasst und neu auskristallisiert. Auf dem Boden der Galerie Thomas Schulte stehen sechs bunt lackierte Polyeder, deren gerüstartige Struktur sich der Beschreibung entzieht, weil sie aus jedem Blickwinkel eine andere Form annehmen: „Something Else“. Innenraum und Außenraum tragen einen skulpturalen Zweikampf aus, wie er auch in der Konstruktion von Molekülen und Mineralien vorkommt. Deacon, der 1987 den Turner-Preis der Tate Gallery gewann, experimentiert zwischen Bildhauerei und Materialwissenschaft. Er untersucht die Beschaffenheit und die Wahrnehmung der Dinge, die ihn umgeben, mit der Nonchalance eines Dilettanten der Romantik: „Der fehlende Bezug zwischen Ursache und Wirkung ist für einen Künstler ein Vorteil“, erklärte er im Film: „für einen Handwerker jedoch ein Nachteil.“ Der Wirkung gibt Deacon in jedem Fall den Vorzug; um die Ursachenforschung sollen sich andere kümmern. In der Ausstellung wird den Skulpturen auf harmonische Weise noch eine Serie von Zeichnungen beiseite gestellt. Auch hier stehen zellähnliche Gitterstrukturen im Vordergrund. Doch blicken wir wohl auf die Rückseite der Blätter. Je nachdem, wie stark Deacons Hand auf dem Stift lastete, hat sich die Farbe mehr oder weniger durch das Papier gedrückt.

Mit der Unfassbarkeit dessen, was wir sehen, spielt auch der Schweizer Künstler Albrecht Schnider. Eine seiner normalerweise DIN-A4-großen Zeichnungen hat er in den neun Meter hohen Eckraum der Galerie übertragen. Die in ihren Umrissen schwingende Silhouette lässt sich nur vermittelt oder gestört wahrnehmen: Man schaut von außen durch die Fensterscheiben, versucht von innen die Spiegelungen zusammenzusetzen oder steht direkt davor und reckt und streckt den Kopf, um ein Bild abzutasten, das den Rahmen sprengt. (Beide Ausstellungen bis zum 25. Januar 2014, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Charlottenstr. 24)