Das Hinterhofkino mit der irren Aussicht

JUBILÄUM Hier wohnte mal der Produzentenmogul Stefan Arndt – seit 25 Jahren schon gibt es das versteckt gelegene Kreuzberger Sputnik-Kino

Überhaupt diese Lounge. Es gibt sogar zwei Balkone zum Rauchen

VON ANDREAS BECKER

Im Idealfall hat ein Kino knallbunt leuchtende Neonschilder an der Fassade, mehrere Glasschaukästen zum Gehweg hin und vielleicht noch ein riesiges, gemaltes Kinoplakat. Es geht auch anders.

Das Kreuzberger Sputnik überlebt seit 25 Jahren ohne all den Reklameschnickschnack. Das Sputnik liegt versteckt in einem Hinterhof an der schönen Körtestraße. Zu allem Unglück ist das Kino auch noch im fünften Stock, natürlich ohne Fahrstuhl. Und auch der Treppenhauseingang ist nicht ganz leicht zu finden. Dafür kann man aus dem Treppenhaus toll die Tänzerinnen beobachten, die im Studio gegenüber waagerecht ihre langen Beine austarieren. Die Kinobetreiber selbst benutzen manchmal den Lastenaufzug, der aber gern mal stecken bleibt.

Als ich mit der Chefin Andrea Stosiek verabredet bin, kommt die abgehetzt das Treppenhaus hochgelaufen. Sie war gerade bei der Metro, Schokozeugs wie M&Ms kaufen. Denn Popcorn wird hier wie in den meisten Berliner Offkinos nicht angeboten. Allein schon deshalb, weil man keine Lust hat, einen Popcornstaubsauger anzuschaffen (die gibt’s tatsächlich), und weil Popcorn ziemlich müffelt. Trotzdem muss ein Kino möglichst so um die 2 Euro Umsatz am Tresen machen. Bei den Plexen ist es eher mehr. Denn von den Kinokarten bleibt weit weniger als ein Viertel bei den Betreibern hängen, allein die Verleiher kassieren rund die Hälfte. Zum Glück hat das Sputnik gerade wieder einen Preis für tolles Programm bekommen.

Andrea Stosiek hat zunächst als Kinovorführerin gearbeitet – kann also den riesigen alten Analogprojektor noch selbst bedienen. Dann erhielt sie vor fünf Jahren das Angebot, das Sputnik Südstern zu übernehmen, das eine Zeit lang vom Betreiber des Kinos High End 54 im Tacheles gemanagt wurde. Von dort sind auch noch einige Alteisenskulpturen erhalten, die jetzt in der schönen Lounge stehen.

Überhaupt diese Lounge. Die Aussicht ist richtig toll. Und es gibt sogar zwei Balkone zum Rauchen. Von dort aus kann man die sauteuren neuen Penthäuser beobachten, die auf dem alten Bunker an der Fichtestraße thronen. Als reine Geldanlage werden sie anscheinend nicht von vielen Leuten bewohnt. Die Lounge war übrigens mal die Wohnung von Stefan Arndt, heute einer der großen Produzenten in Berlin. Der Arndt, der damals schon das Ursprungs-Sputnik im Wedding betrieb.

Das ist längst geschlossen, hatte aber in den Achtzigern ein so kontroverses Programm, dass hier manchmal, spätestens nach dem Film – auch gern mal mit Schreierei – diskutiert wurde über die Handlung oder die Gewaltdarstellung oder die Frauenfrage.

Das Kreuzberger Sputnik war eine Art Abspaltung vom Kollektiv. Aus dieser Zeit, also kurz vorm Mauerfall, stammen auch die immer noch vorhandenen, aus Klinkern gemauerten „Kinosessel“, sogar mit Zweisitzern zum Kuscheln.

Andrea Stosiek erzählt, dass es damals einfach keine günstigen gebrauchten Kinosessel in Westberlin zu kaufen gab. Es kann allerdings auch sein, dass man möglichst unbequem sitzen sollte, damit man sich besser auf den Film konzentriert. Für Leute mit langen Beinen sollte Stosiek bei der nächsten Kinopleite in Berlin vielleicht doch überlegen, neue Stühle anzuschaffen. Was fürs Kino 2 schon geklappt hat. Hier wurden die alten, durchgesessenen Sofas durch gebrauchte Sitze aus einem Erfurter Kino ersetzt.

Noch aber muss das Sputnik erst mal die hohen Strom- und Nebenkosten reinholen. Denn die beiden neuen, teuer angeschafften Digitalprojektoren verbrauchen sehr viel mehr Strom als früher. Und auch eine Klimaanlage ist nun nötig, die Raumtemperatur darf nicht groß über 30 Grad steigen.

Beim Besuch im Kino geht Andrea Stosiek mit einem Mitarbeiter gerade eine Liste durch, welche Filme man in dieser Woche aus dem riesigen Speicher des Servers wirft. „Draußen ist Sommer“ – halten oder nicht? Kommt weg, wird auch nicht in der externen Bibliothek gespeichert.

Zum Glück passt der alte 35-Millimeter-Projektor noch in den Vorführraum. Denn die Kinomacherin will zu den 25-Jahr-Feiern auch eine lange Kinotrailernacht veranstalten. Mit munterem Filme-Raten. Sie sammelt, wie schon die diversen Sputnik-Vorbetreiber vor ihr, diese Kurzfilmchen.

Hoffen wir also, dass das Sputnik noch lange am Kinohimmel kreist. Und vielleicht erlaubt der Vermieter ja mal ein Leuchtschild zur Straße hin. Die können so schön scheinen.