Richtig böse geht anders

Die finnischen Grand-Prix-Gewinner Lordi mögen der heiteren Schlagerschau Schaden zugefügt haben – aber der ist gering im Vergleich zu dem, was sie dem wahren Heavy Metal antaten

VON ARNO FRANK

Am Samstag hat mit den finnischen Lordi eine Gruppe den Eurovision Song Contest gewonnen, die schlagerferner nicht sein könnte – zumindest nicht auf den ersten oder zweiten Blick. Und weil Schlagerfreunde prinzipiell keinen dritten oder vierten Blick auf die ihnen vorgesetzte Klangsülze werfen, wird ihnen das eigentliche Erfolgsgeheimnis des diesjährigen Gewinners wohl für immer verborgen bleiben. Dabei ist doch alles ganz einfach.

Vielleicht sollten wir erst mal die vielen sperrigen Missverständnisse aus dem Weg räumen, die nun über „Hard Rock Hallelujah“ in Umlauf gebracht wurden.

Los geht’s damit, dass die Musiker von „Lordi“ angeblich „hässlich“ sind. Schon dabei handelt es sich um eine leicht widerlegbare Behauptung. Denn hässlich ist, wer sich sein Gesicht erst aufschlitzen lässt, um es danach, gestrafft und durch weiche Pölsterchen ergänzt, telegen zugenäht wieder der Kamera zuzuwenden – also mindestens ein Drittel der „Eurovisions“-Teilnehmer. Lordi dagegen tragen Masken. Wie sie darunter aussehen? Egal.

Der Trick mit den Masken allerdings ist auch schon ein alter Hut im Schau(er)geschäft. Gruppen wie Kiss (die Erfinder des unschwulen Männer-Make-ups), Gwar (gibt’s auch als Puppen für zu Hause!), Green Jelly oder (wirklich böse!) Slipknot haben schon vor langer Zeit die männliche Aggression als zentrales Element des Heavy Metal auf eine Weise übersteigert, dass sie nur noch als Comicfiguren mit Horrorfilmfratzen vor ihr Publikum traten. Erst mit Schminke, Schutzmasken aus dem Eishockey oder einer laufenden Kettensäge war die Performance dieser Bands perfekt. Es gehörte halt zur Show. Und die Show – synchrone Verrenkungen der Tänzer, raffinierte Kleider, die sich selbst entblättern, mysthische Farbsymbolik – ist integraler Bestandteil jedes Grandprix.

Warum also keine Masken? Zumal Lordi, bei allem Respekt vor den verletzten ästhetischen Empfindungen verstörter Schlagerfreunde, eher wirkten wie ein Trupp drolliger Orks, der sich aus Mordor nach Athen verlaufen hatte – also kinderzimmerkompatibel, nur eben „Halloween“ statt „Emanuelle“. Es dürfte in der Geschichte des Grandprix noch nie ein Act gewonnen haben, der so wenig Fleisch zeigte.

Das größte aller Missverständnisse aber bezieht sich auf die Musik selbst: Nein, Leute, das war kein Heavy Metal. Wer das behauptet, ist einfach nur dem eigenen Geschwätz auf den Leim gegangen. Klopften sich die Veranstalter nicht im Vorfeld gegenseitig auf die Schulter, diesmal hätte man ja alle Genres im Wettbewerb? Hiphop aus England, Folk aus Kroatien, Metal aus Finnland, Country aus Deutschland? Dabei war’s doch nur wieder Kinderfolk, Kindermetal, Kindercountry, kurzum: Kindergeburtstag. Nichts gegen Kinder, Gott schütze sie.

Übrigens ist die mühsam unterdrückte Verärgerung langjähriger Grand-Prix-Beobachter über das, was sie fälschlicherweise für Heavy Metal halten, rein gar nichts im Vergleich zur kalten Wut, die Lordi nun aus der real existierenden Metal-Szene entgegenschlägt. Denn was die Finnen auf der Bühne geleistet haben – einen flotten Popsong hinter Drohgebärden und längst mainstreamfähigen Riffs zu verstecken –, gilt unter echten Metal-Fans als Hochverrat.

Dass Metallica in den frühen Neunzigerjahren den Metal in die Hitparaden führten, hat man ihnen bis auf den heutigen Tag nicht verziehen. Und als sich Rob Halford von „Judas Priest“ als schwul outete, wäre er von aufgebrachten Fans beinahe gelyncht worden. Wenn es eine schwule No-go-Aea gibt, dann ist das die Metal-Szene – und natürlich „auf’m Platz“. Mag sein, dass der Sieg von „Lordi“ dem lange gehegten Image des Wettbewerbs als lustigem, europaweitem Tuntenlaufsteg einen gewissen Schaden zugefügt hat. Es ist aber nur ein Kratzer im Vergleich zum Totalschaden, den dieser Auftritt dem Metal zugefügt hat – weil er sich über ein Genre lustig machte, das sich selbst ernster nimmt als Papst Gregor seine Choräle.

Müssen wir jetzt wirklich noch über Musik reden?

Über den Song „Hard Rock Hallelujah“? Darüber, was sich unter dem ganzen bösen Brimborium recht eigentlich verbirgt? Ganz konkret? Nein, das müssen wir nicht. Aber dem nächsten heulenden Schlagerfreund, der uns über den Weg läuft, werden wir tröstend den Arm um die Schulter legen. Ihn mit nach Hause nehmen. Und ihn vor die Stereroanlage setzen.

„Poison“ von Alice Cooper wird er nicht kennen, und deshalb können wir ihm „Hard Rock Hallelujah“ vorspielen. Über Kopfhörer, in aller Ruhe, ohne debiles Fähnchengeschwenke und Horrormasken, immer wieder und wieder.

So lange, bis seine Tränen einem seligen Lächeln weichen. Denn dann wird er endlich gemerkt haben, dass „Hard Rock Hallelujah“ im Kern nichts anderes ist als „Gimme Gimme (A Man After Midnight)“ von Abba.