Witzemacher statt Witzfiguren

ISLAND Eine Spaßpartei geht als Favoritin in die Kommunalwahl in Reykjavík. Der Politik vertraut dort seit der Finanzkrise kaum noch jemand. Schlimmer kann’s also nicht werden

Warum nicht Leute regieren lassen, die keine Berufspolitiker sind und durch Parteiklüngel ins Amt kamen?

AUS REYKJAVÍK DANIELA ZINSER

Wo der Spaß aufhört oder erst so richtig anfängt, das ist ja eine dieser Fragen der Menschheit. Wie: Was ist Zeit? Gibt es einen Gott, und wie lange will Thomas Gottschalk „Wetten, dass ..?“ noch moderieren? In Island, wo man gerade zumindest ein bisschen Spaß damit hatte, die Welt mit Asche zu ärgern, wird nun, da der Vulkan ruhig ist, ganz ernst diskutiert: Darf ein Komiker Bürgermeister werden – und eine Spaßpartei mit absoluter Mehrheit die Hauptstadt und damit über fast 40 Prozent der rund 320.000 Isländer regieren? Sind Witzemacher vielleicht besser als politische Witzfiguren?

Die neueste Umfrage der größten isländischen Tageszeitung, Frettabladid, sagt der „Besti flokkurinn“, der „besten Partei“ von Comedian Jón Gnarr bei der Kommunalwahl am Samstag 42 Prozent der Stimmen und damit 8 der 15 Sitze im Stadtrat voraus. Die Gruppe aus Gnarr als Vorsitzendem, dem Sänger von Björks Exband Sugarcubes als Stellvertreter und weiteren Künstlern hat in den vergangenen Wochen von Umfrage zu Umfrage zugelegt, 13, 24, 36 Prozent und nun 44 – damit bräuchte sie nicht mal mehr einen Koalitionspartner.

Seine „Anarcho-Surrealistische Partei“, wie Gnarr sie nennt, ist „the bestest of all parties“ und verspricht im Wahlsong zu „Simply The Best“ von Tina Turner einen historischen Wandel. Das Wahlprogramm: Eisbären in den Reykjavíker Zoo, Wegezoll für alle, die aus den reicheren Vororten in die Hauptstadt wollen, Elektroautos auf den Straßen, Palmen an der Küste, kostenlose Zahnarztbehandlung für Kinder und Loser und ein drogenfreies Parlament bis 2020.

Gnarr, 43, Autodidakt, Expunkrockbandbassist, eine Mischung aus Harald Schmidt und Mario Barth, ist in Island mit seinen Radio- und Fernsehshows ein Star, er veräppelt Größenwahn, Vetternwirtschaft und Gesellschaftsdünkel. Für Politik habe er sich nie interessiert, und am Bürgermeisteramt reize ihn der bequeme, gut bezahlte Job im Warmen, ein Job, in dem er viel tun könne für sich, seine Familie und Freunde. Links oder rechts? Egal, als Koalitionspartner käme die Partei infrage, die auch gern die US-Serie „The Wire“ sieht – in der es um Korruption geht. Er werde selbstverständlich korrupt sein und seine Wahlversprechen „aller Art“ nicht halten.

Wenn die Politik wie ein Witz erscheint, warum dann nicht mal die ranlassen, die wirklich Spaß verstehen? Gerade mal 10 Prozent der Isländer haben laut Umfragen noch Vertrauen in die Politik. Kein Wunder, auf 2.300 Seiten wurde ihnen im Bericht des Untersuchungsausschusses zur Finanzkrise gerade dargelegt, wie inkompetent, kindisch, ignorant und arrogant sich der Großteil der Politik vor und während des Zusammenbruchs der drei größten isländischen Banken verhalten hat. Wie die Politiker wie Cheerleader mit den Puscheln gewedelt haben, um der Wirtschaft zuzujubeln, blind für die Gefahren. Für all das hat keiner der amtierenden Politiker bislang die Verantwortung übernommen. Der Kaiser ist so nackt, da kann auch der Hofnarr seine Kleider tragen.

Und die Unabhängigkeitspartei, die das Land seit den Dreißigerjahren direkt oder indirekt regiert und mit ihrer Vetternwirtschaft und ihrem Patronatsstil maßgeblich zum Crash beigetragen hat, wirbt ironiefrei mit dem Slogan „Let’s work together“, ihre Mitglieder propagieren in Interviews, wie wichtig es sei, auf die Privatwirtschaft und „die Individuen“ zu vertrauen. Na ja, ein paar dieser Individuen sitzen in Untersuchungshaft oder werden per Interpol-Haftbefehl gesucht.

Längst hat die Politik, haben die Politiker – und das nicht nur in Island – doch alles Weihewürdevolle eingebüßt, alles ist abgebröckelt im Koalitions-Klein-Klein, in leeren Phrasen und unhaltbaren Versprechen aus Angst vor der nächsten Wahl. Sie können nur noch Politiker, das beweisen die Reaktionen der anderen Kandidaten im Reykjavíker Wahlkampf, die prompt vorhersehbar warnen: Es sei kein Spaß, mit der Zukunft der Kinder zu spielen, und der Witz sei zu weit gegangen. Humor geht anders.

Narren sagen die Wahrheit – und machen dabei sogar noch Spaß. Viele Isländer sind gleichermaßen abgestoßen wie gelangweilt von den Politikern. Wie viele von ihnen am Samstag dann tatsächlich die „beste Partei“ wählen werden, das kann die Umfrage gewiss nicht vorhersagen. Doch es ist verführerisch, sich das vorzustellen: warum nicht Menschen regieren lassen, die keine Berufspolitiker sind und durch Parteiklüngel ins Amt kamen? In Reykjavík ist ja die Frage: Ginge es noch schlechter?

Wie erfolgreich Komödianten im politischen Betrieb sein können oder könnten, zeigt etwa Beppe Grillo, der in Italien den Protest gegen Berlusconi antreibt. Oder Coluche, der französische Komiker, der 1980 ankündigte, Präsident werden zu wollen, und in Umfragen prompt 16 Prozent der Stimmen bekam; leider hat er dann nie offiziell kandidiert.

In Deutschland hat der Bundeswahlleiter im vergangenen Jahr verhindert, dass Martin Sonneborns „Die Partei“ an der Bundestagswahl teilnahm – es fehle die: Ernsthaftigkeit. Gewiss, es ist ein Wagnis. Denn der Hofnarr ist immer auch Populist. Wo der Spaß aufgehört hat, weiß man eben oft auch erst dann, wenn es längst ernst ist.