Politische Archäologie

STADTTOUR Mit israelischen Friedensaktivisten durch das Gewirr der Jerusalemer Altstadt

■  Touren von ToursInEnglish haben stets einen politischen Bezug zu Geografie und Topografie. Exkursionen nach Ramallah, Bethlehem, Hebron, Nablus und in Flüchtlingslager wie Dschenin oder Aida, immer in Zusammenarbeit mit lokalen Reiseführern. Dazu gibt es thematische Führungen entlang des Sicherheitszauns und in jüdische Siedlungen. www.icahd.org

VON TOBIAS RUPPRECHT

Wir sitzen beim Briefing für eine spezielle Tour durch die Altstadt Jerusalems. Gleich hinter dem Damaskus-Tor hat ToursInEnglish sein Hauptquartier, das Alternative Travel Center. Und bei frisch gepresstem Orangensaft auf der Veranda gibt sich Tourguide Itamar alle Mühe, 60 Jahre Stadtgeschichte mithilfe großer Folien zu erklären.

Ein knappes Dutzend Leute um die 30 haben sich eingefunden. Ein russisches Pärchen, ein paar europäische Backpackerinnen, und obwohl es eine Führung auf Englisch ist, sind auch einige jüdische Israelis dabei. Das Besondere an der Tour ist, dass nicht nur Felsendom, Klagemauer und Grabeskirche auf dem Programm stehen, sondern aus dem Stadtbild heraus immer wieder aktuelle politische Bezüge hergestellt werden.

Erste Station, passenderweise gleich an der Via Dolorosa, ist das österreichische Hospiz. In dem Pilgerhaus aus dem 19. Jahrhundert bekommt man laut Itamar nicht nur die besten Wiener Schnitzel des Nahen Ostens, sondern von der Dachterrasse auch einen hervorragenden Überblick über die Struktur der Altstadt, aufgeteilt seit Jahrhunderten in ein christliches, ein jüdisches, ein kleines armenisches und ein muslimische Viertel, in dem wir uns noch immer befinden.

Von hier oben sieht man, dass von einigen Häusern israelische Fahnen wehen. Die Organisation Ateret Cohanim (Krone der Priester), so erfahren wir, organisiert den Aufkauf von Immobilien und den Einzug stramm zionistischer Juden ins muslimische Viertel. Die meist recht jungen Siedler zeigen mit Flaggen und Parolen auf den großen Balkonen starke Präsenz – Provokationen, die immer wieder gewalttätigen Streitereien führen.

Alternative Travel Tours wurden vor bald drei Jahren vom altgedienten israelischen Friedensaktivist Fred Schlomka gegründet und bieten auch größere Touren durch Israel/Palästina. Die meisten Tourguides sind jüdische Israelis, aber auch Palästinenser und ein Beduine sind im Team. Alle kommen sie aus dem Milieu der israelischen Friedensbewegung. Für Itamar, der uns durch Jerusalem führt, waren es traumatische Erlebnisse während seines Militärdienstes, die ihn vom überzeugten Zionisten zu einem Aktivisten für die Aussöhnung mit den Palästinensern bekehrt hatten. Lange Zeit leitete er Führungen in Jad Vaschem, verlor aber seine Stelle, als er während des letzten Gazakrieges im Dezember 2008 wiederholt die Instrumentalisierung des Holocausts durch die israelische Rechte kritisierte.

In der Altstadt Jerusalems führt uns Itamar durch die strengen Kontrollen vor dem jüdischen Viertel und der Klagemauer. Nach der jordanischen Besetzung Palästinas und Ostjerusalems (inklusive der Altstadt) im ersten israelisch-arabischen Krieg 1948, fiel den Besatzern nichts Besseres ein, als das komplette jüdische Viertel einzureißen. Im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert, wurde es wiederaufgebaut. Heute wirkt das Viertel viel eleganter und gepflegter als der Rest der Altstadt – es genießt Privilegien in der Verteilung kommunaler Infrastrukturmittel.

Südlich der Klagemauer stehen wir auf einer Anhöhe und blicken auf ein großes Loch, das vor uns im Boden klafft. Über die Jahrhunderte wuchs Jerusalem auf den eigenen Trümmern vergangener Epochen dutzende Meter in die Höhe – auf dem Platz vor dem ehemaligen jüdischen Tempel graben sich Archäologen Schicht für Schicht zurück in die Vergangenheit.

Im Falle Israels und besonders Jerusalems steht bei Ausgrabungen aber nicht immer nur reines akademisches Interesse im Vordergrund: Wo es um historische Rechtfertigung von Besitzansprüchen und Landnahmen geht, wird Archäologie zum Politikum. Wenig hilfreich scheint in diesem Zusammenhang, dass die private jüdische Organisation El-Ad die Ausgrabungen finanziert. Zum Schrecken seriöser israelischer Archäologen hat die vorrangig von amerikanischen Spenden lebende extremistische Gruppe damit großen Einfluss auf die historische Analyse der Stätten. Sie bestimmt, welche der zig Schichten von Fundamenten Jerusalems erhalten bleiben und welche zerstört werden, und liefert damit eine ihrer Weltsicht entsprechende Interpretation.

Von unserem Aussichtspunkt sehen wir nicht nur den Platz vor der Klagemauer, sondern weit nach Ostjerusalem hinein. Ein Gürtel von Siedlungen, deren Bau Israel im Osten Jerusalems vorantreibt, schließt sich um die Altstadt, um sie von den mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Vororten abzuschirmen. Dutzende Kilometer hinein ins palästinensische Westjordanland reichen hier die bereits fertiggestellten Abschnitte der acht Meter hohen Mauer. Die neuen Straßen, die dorthin führen, sind ausschließlich für jüdische Siedler zugängig. Facts on the ground schaffen, so lautet die bewährte Devise israelischer Siedlungspolitik. Auch hier im Osten Jerusalems wird Archäologie für politische Zwecke eingespannt. Das heute von Palästinensern bewohnte Viertel Silwan war einst Zentrum der Davidstadt – und steht im Weg für den Abschluss des Siedlungsrings um die Altstadt. El-Ad kontrolliert auch dort die Ausgrabungen und kauft Häuser für jüdische Siedler auf. Die wachsende palästinensische Bevölkerung erhält keine Baugenehmigungen für dringend benötigte Wohnhäuser, illegal errichtete Bauten werden regelmäßig von israelischen Baggern wieder eingerissen. Wieder sehen wir zahlreiche israelische Flaggen, bewaffnete Siedler und sogar Wachtürme.

Selbst wenn der Siedlungsring in ein paar Jahren fertiggestellt sein wird, stehen die Chancen auf einen dauerhaften Frieden schlecht. Im Zentrum lebt weiter eine wachsende muslimische Mehrheit, getrennt sowohl von Israel als auch dem Westjordanland. Das Fazit, das uns Itamar gibt, ist wenig optimistisch: Der Konflikt wird so auf ewig weitergären – und sporadisch gewaltsam ausbrechen.