Auf Schnitzeljagd

FUSSGÄNGERZONE Burger oder Käsebrötchen? Richtig essen will geübt sein. Mit einem Genussprofi auf Trainingsrunde durch den urbanen Speiseplan

Der Döner: Döner ist aus dem türkischen entlehnt und bedeutet „sich drehendes Grillfleisch“. Täglich werden in Deutschland in fast 15.000 Dönerbuden 200 bis 300 Tonnen davon verkauft.

Der Cheeseburger: Das Hackfleischsandwich mit Käsescheibe kommt ursprünglich aus Kalifornien. Dort gibt es sogar ein Burgergesetz: Übergewichtige Amerikaner können keinen Schadenersatz von Fastfoodketten fordern.

Die Currywurst: Bis der Döner sich in Deutschland verbreitete, war diese gebratene oder fritierte Brühwurst die Nummer eins unter den Imbissbudensnacks. Seit August 2009 gibt es in Berlin auch ein Currywurst-Museum.

VON JOHANNES J. ARENS

Die Bonner Innenstadt ist geschäftig um die Mittagszeit. Anzugträger und Frauen in eleganten dunklen Kostümen drängen durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Fußgängerzone, auf der Suche nach Nahrhaftem. Das Rathaus ist für die anstehende Sanierung eingerüstet. Auf großen Planen werben haushohe Basketballspieler mit ihren muskulösen Körpern für die Telekom. Schräg gegenüber sitzen wohlgenährte Studenten vor einer der sieben Bonner McDonald’s-Filialen in der Sonne und essen Big Macs.

„Das Problem ist nicht der Burger“, sagt Gunther Hirschfelder, „das Problem ist der schlechte Burger.“ Der 49-Jährige ist Privatdozent am Lehrstuhl Kulturanthropologie und Volkskunde der Universität Bonn. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den kulturwissenschaftlichen Aspekten von Ernährung. Bei einem Spaziergang erklärt er, was die Bonner Innenstadt kulinarisch so zu bieten hat. Auch ohne viel Geld.

McDonald’s: 1 Euro

„Der Verzehr eines Hamburgers ist immer noch mit Assoziationen von Männlichkeit belegt“, sagt Hirschfelder, „man denkt dabei an hochwertiges Bullenfleisch, verzehrt in Wirklichkeit Teile ausgepowerter Milchkühe, die ihren Ausbeutungszyklus durchlaufen haben. Die Reste der Tiere werden verbrannt.“

So weit nichts Neues. Die Kritik an den Produktionsbedingungen unserer Lebensmittel ist längst im Mainstream angekommen, auch wenn die Erkenntnisse nach wie vor nur geringe Auswirkungen auf das Konsumverhalten haben. Das muss anders werden, dachte sich ein 13-köpfiges Expertenteam des Arbeitskreises „Lebens Mittel“ der Bonner „Stiftung Denkwerk“. Anfang Mai veröffentlichten sie „Wie Essen und Trinken bei sinkendem materiellen Wohlstand zu mehr Wohlbefinden beitragen“ – ein Memorandum für eine erneuerte Esskultur.

„Grundlage der Arbeit ist die Überzeugung, dass immaterielle Zufriedenheitswerte wie Essen und Trinken Wohlstandsverluste ausgleichen können“, erklärt der Kulturanthropologe, der an der Entstehung des Maßnahmenkatalogs beteiligt war, „das muss man aber erst erlernen.“

Markt: 1,30 Euro

Zielstrebig steuert er auf den Käsestand auf dem Markt zu und kauft ein Brötchen mit einer dicken Scheibe Comté. „Wenn ich das mit einem Burger vergleiche“, sagt er, „dann werde ich satt, und habe für einen Euro dreißig ein sowohl geschmacklich als auch ökologisch hochwertiges Produkt.“ Denn Käse hat eine einfache Produktionskette mit nur wenigen Veredlungsschritten und vergleichsweise kurzen Transportwegen. Satt werden mit Geschmack und einem guten Gewissen.

Der benachbarte Stand verkauft Spargel aus dem Umland. „Sicherlich auch erst einmal ein Positivbeispiel“, sagt Hirschfelder, „ein regionales und saisonales Produkt.“ Doch der Schein trügt: Spargel stammt vielleicht sogar aus biologischem Anbau, wird aber in vielen Fällen aus Griechenland eingeflogen. „Wir haben das Gefühl, dass wir etwas Gutes für die Umwelt tun, wenn wir Bioprodukte kaufen“, erklärt der Wissenschaftler, „unter Umständen belasten wir diese aber durch lange Kühlketten oder Transportwege. In der Ökobilanz schneidet das konventionelle Schwein aus dem Nahbereich, das hier im Fleischhof weiterverarbeitet wird, vielleicht sogar günstiger ab als chilenischer Biolachs.“ Und ohnehin ist das Gemüse dabei, kulturell zu einer Art Ramschgut zu verkommen. „Das Angebot ist einfach zu groß. Außerdem ist den unter 25-Jährigen der Aufwand beim Schälen meist zu viel.“ Diese Zielgruppe ist dann auch verantwortlich für die zunehmende Popularität von grünem Spargel. Der muss nicht geschält werden.

Frittenbude: 2,60 Euro

In einer Frittenbude unweit des Hauptbahnhofs bestellt Hirschfelder eine kleine Pizza Salami. Zwei Euro sechzig für runde Wurstscheiben auf einem mit Tomatensoße und Käse bereits vorgebackenen Teig. „Wir denken bei Salami an Italien und Essgenuss“, sagt er, „und bei Käse an zufrieden grasende Kühe.“ Grell orangefarbenes Fett sammelt sich auf dem Pappteller. „Dabei hat das hier außer der Optik nichts mit einer italienischen Salami oder echtem Käse zu tun.“ Aber nicht die billigen Zutaten sind für den Experten das Hauptproblem, sondern die sensorische Verarmung und das blinde Vertrauen in industrielle Produktversprechen. „Wir delegieren unsere Geschmackskompetenz an das Wort ‚Pizza‘ “, fasst Hirschfelder zusammen.

Gaststätte: 9,60 Euro

Eine ordentliche Portion Fett enthält auch der Teller „Himmel un Ääd“, den der Kellner im „Gequetschten“ bringt. Die letzte Station des Rundgangs. Gebratene Blutwurst mit Zwiebelringen, Kartoffelpüree und Apfelmus in gutbürgerlicher Brauhausatmosphäre. Weder Gericht noch Ort würde man zunächst mit erneuerter Esskultur in Verbindung bringen. „Himmel un Ääd ist aber ein Best-Practice-Beispiel für nachhaltige Ernährung, sagt der Experte, „im Gegensatz zu Muskelfleischprodukten wird das gesamte Tier verwendet. Voraussetzung ist, dass die Wurst von einem lokalen Metzger und die Kartoffeln aus dem Umland stammen.“ Der Speiseraum ist am frühen Nachmittag fast leer, lediglich zwei mittelalte Damen verzehren Spargel mit Kochschinken und Sauce Hollandaise. „Regionale Produkte werden hier positiv belegt. Sicher, wir haben hier ein Produkt mit einem hohen Fettanteil“, fährt er fort, „aber das Gericht versteckt seine Bestandteile ja nicht“.

Der Wissenschaftler schneidet die kross gebratene Wurst in Stücke. „Eine sensorische Schulung ist die Grundvoraussetzung für einen Änderung des Systems“, sagt er und kombiniert ein Wurststück mit ein wenig Apfelmus, „wir müssen das einfach immer wieder üben.“