crime scene
: Da-Vinci-Code fürs orthodoxe Judentum: Sam Bournes Roman „Die Gerechten“ ist erstklassiger Schund

Epigonentum hat ja hierzulande einen eher schlechten Ruf. Wenn jemand etwas richtig gut gemacht hat, wird er auf einen Sockel gestellt und zum Klassiker erklärt. Kommt dann jemand anders und macht dasselbe fast genauso gut, wird er als Nachmacher verachtet. Andere Kulturvölker, die Engländer zum Beispiel, haben weniger Probleme damit, eine bewährte Methode mehrfach angewendet zu sehen. Doch sogar für englische Verhältnisse ist es dreist, wenn ein politischer Journalist sich aufmacht, nicht nur einen Thriller zu schreiben, sondern dem amerikanischen Gigaseller-Autor Dan Brown ganz offen mit dessen eigenen Mitteln Konkurrenz zu machen. Das Dan-Brown-ähnliche Pseudonym „Sam Bourne“, das Jonathan Freedland für sein Buch „Die Gerechten“ gewählt hat, ist sicher mehr als coole Verkaufsstrategie, sondern spielt offensiv und ironisch mit dem eigenen epigonalen Anspruch. Wer da mit dem Vorwurf der Nachmacherei kommen will, rennt offene Türen ein. Es muss ja wirklich nicht immer der Fall sein, dass die Epigonen schlechter sind als die Klassiker.

Freedland alias Bourne hat die simple Rezeptur der Brown’schen Verschwörungsepen nicht schlicht übernommen, sondern verfeinert: mehr Erotik, mehr Exotik, keine Verfolgungsjaden. Außerdem ist er der elegantere Schreiber. Vor ein paar Jahren hat Freedland eine Art Geschichte seiner Familie, nach England eingewanderter osteuropäischer Juden, veröffentlicht, in der er sich auf die Suche nach seinen jüdischen Wurzeln begab. Wahrscheinlich ist der New-York-Thriller „Die Gerechten“ auch ein Nebenprodukt der damaligen Recherche.

Der junge Engländer Will Monroe, als Lokalredakteur ein Neuling bei der New York Times, wird auf eine rätselhafte Mordserie aufmerksam. In Manhattan wird ein Zuhälter ermordet, in Montana ein waffenvernarrter Einzelgänger. Will entdeckt merkwürdige Übereinstimmungen zwischen beiden Fällen. Dann wird seine Frau entführt. Er bekommt rätselhafte E-Mails, die aus einem Internetcafé im orthodoxen Judenviertel von Brooklyn abgeschickt wurden. Mit Hilfe seiner brillanten Exfreundin, die chassidische Wurzeln hat, macht er sich auf, diese fremde Welt zu erkunden.

Bald erfahren die beiden, dass die Mordserie weit über das ihnen bisher bekannte Ausmaß hinausgeht, dass überall auf der Welt Menschen ermordet werden, die außergewöhnlich gute Taten vollbracht haben und als wahrhaft „Gerechte“ im Sinne einer alten kabbalistischen Überlieferung angesehen werden können, nach der es in jeder Generation 36 Gerechte gibt, Männer, aus deren Mitte einer der Messias sein könnte. Offenbar hat jemand vor, genau diese Menschen zu ermorden. Aber warum? Was hat Wills Frau damit zu tun? Will und Freundin absolvieren einen furiosen Wettlauf mit der Zeit, denn die Mordserie steuert auf ein Datum zu: den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Auf dem Weg zur Lösung des Rätsels wälzen sie alte Folianten, treiben sich in historischen Gemäuern herum und lauschen gelehrten Vorträgen von gelehrten Herrschaften.

Ein Bildungsprogramm ganz im Stile des Dan Brown, so boulevardesk wie lehrreich, Da-Vinci-Code fürs orthodoxe Judentum sozusagen. Inzwischen pflastern Leichen ihren Weg, denn nicht nur die Gerechten sterben wie die Fliegen, sondern alle, die Will auf irgendeine Weise näher an sein Ziel bringen könnten. Obwohl die Handlung, wenn man denn Zeit hätte, darüber nachzudenken, teilweise abstrus erscheinen könnte, fällt der – für das Genre ja nicht ganz untypische – Mangel an realistischem Gegenwartsbezug nicht ins Gewicht. Denn dies ist einfach ein echter, weil echt spannender Thriller. Mit anderen Worten: richtig erstklassiger Schund. Und sicher auch bald im Kino zu sehen. KATHARINA GRANZIN

Sam Bourne: „Die Gerechten“. Aus dem Englischen von Rainer Schmidt. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2006, 400 Seiten, 17,90 Euro