Eine Runde für die Kids in den Slums


AUS BONN CHRISTIANE MARTIN

Alec strahlt. „Sechzehn Euro“, ruft er begeistert und rennt sofort weiter. Runde um Runde läuft der Zehnjährige im Bonner Sportpark Nord. Und für jede lässt seine Großmutter vier Euro springen. Sponsorenlauf nennt sich das, und Alec bessert nicht etwa sein Taschengeld auf, sondern sein Sprint dient einem guten Zweck. „Das Geld ist für Straßenkinder in Brasilien“, erklärt er später, als er etwas außer Puste seinen Lauf beendet und immerhin 44 Euro „verdient“ hat.

Alec weiß, wo Brasilien liegt und was Straßenkinder sind. Schließlich ist seine Mutter im brasilianischen Recife geboren und auch wenn Alec noch nie dort war, weiß er, dass Kinder in Brasilien oft unter Menschen unwürdigen Bedingungen leben. Vielen seiner Schulkameraden, die am Sponsorenlauf teilnehmen, war das aber neu. „Ich habe das Thema deshalb ausführlich in allen vier Grundschulklassen besprochen“, sagt Therese Pretterer, Direktorin der Nordschule in Bonn. Die meisten hätten zum ersten Mal davon gehört, seien aber um so beeindruckter gewesen, als sie ihnen beispielsweise Interviews mit Straßenkindern vorgespielt und die Situation in den Slums der brasilianischen Vorstädte geschildert hatte.

„Das didaktische Material dazu habe ich von der katholischen „Don Bosco Mission“ des Salesianerordens in Bonn (siehe Kasten) bekommen“, erklärt Pretterer. Als sie von deren Aktion „Fußball für Straßenkinder“ gehört habe, sei sie sofort interessiert gewesen. „Ich habe eine absolut Fußball begeisterte Klasse. Die kicken schon morgens vorm Unterricht im Klassenzimmer“, erzählt die 60-Jährige lachend. Deshalb seien alle auch dafür gewesen, den diesjährigen Sponsorenlauf zugunsten der Straßenkinder zu veranstalten. „Die wollen dort doch auch Fußballspielen und dafür brauchen sie Geld“, erklärt ein Junge aus Therese Pretterers viertem Schuljahr.

Dass Fußball für die brasilianischen Straßenkinder tatsächlich eine wichtige Rolle spielt, weiß Raymundo Mesquita aus täglicher Erfahrung. Der 74-Jährige Geistliche koordiniert für den Salesianerorden das Straßenkinder- und Berufsbildungsprogramm in den brasilianischen Millionenstädten Belo Horizonte, Brasilia und Rio de Janeiro. „Unsere Arbeit hat fast überall mit einem improvisierten Tor begonnen. Wir verdanken unseren großen Erfolg dem Fußball“, erklärte der Brasilianer jüngst bei seinem Besuch in der Bonner „Mission“. Über den Fußball würden er und seine Kollegen Vertrauen zu den Straßenkindern aufbauen und sie dann in ihre Jugendzentren einladen. Von dort aus bekämen viele eine Schul- und Ausbildung und würden so vor der in den Slums herrschenden Kriminalität bewahrt.

„Fast alle Familien in den Slums sind mittellos und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch, die gerade zum Überleben reichen. Also gehen die Kinder auf die Straße, um Geld zu beschaffen“, erzählt Mesquita. Die brasilianischen Behörden würden die Straßenkinder einfach in Heime sperren. „Und wenn sie rauskommen, sind aus armen und gewalttätigen Kindern arme und gewalttätige Erwachsene geworden“, kritisiert er die Zustände in seinem Heimatland.

Diesen in seinen Augen ungenügenden Maßnahmen von offizieller Seite setzen die Salesianer ihre eigenen Programme entgegen. „Fußball für Straßenkinder“ ist eins davon. „Bei Brasilianern ist Fußball nun mal pädagogisch wirksamer als das Verfassen von Enzykliken – der Papst möge uns verzeihen“, erklärt Mesquita schmunzelnd. Der Erfolg gibt ihm Recht: Immerhin kamen bis heute 27.000 Jungen und Mädchen dank der Salesianer zu ihrem ersten Job.

„Ich unterstütze diese Aktion sehr gern“, sagt deshalb auch Katharina Harst, Schulpflegschaftsvorsitzende der Bonner Nordschule. Sie sponsert nicht nur den Lauf ihrer beiden Kinder, sondern hilft auch bei der Organisation, reicht frisches Obst zur Stärkung zwischendurch, verteilt pro gelaufene Runde einen Stempel, lobt und macht denen Mut, die vorzeitig schlapp zu machen drohen. Nach zwei Stunden allerdings sind Kinder, Lehrer und Eltern erschöpft. Dafür aber stolz. Während Alec und seine Kumpels vergleichen, wer an diesem Tag mehr Runden gelaufen ist, kann Therese Pretterer zufrieden das Ergebnis verkünden: „Über 800 Euro sind zusammengekommen.“ Für eine kleine Grundschule mit gerade mal 80 Schülern sei das doch nicht schlecht. Auch die „Don Bosco Mission“ dürfte es freuen.