Lieber Meise als Meute

Der Düsseldorfer Heine-Preis soll Peter Handke verliehen werden – oder auch nicht

Die Nachricht, dass der Schriftsteller Peter Handke 2006 den mit 50.000 Euro dotierten Heine-Preis der Stadt Düsseldorf zugesprochen bekommt, ist, wenn es denn dabei bliebe, jedenfalls keine schlechte. Die Begründung der Jury trifft zu: Eigensinnig wie Heine verfolge Handke den Weg zu einer offenen Wahrheit; seinen poetischen Blick auf die Welt setze er rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und ihre Rituale.

So kann man Handkes Weigerung umschreiben, sich im und nach dem Jugoslawienkrieg auf die Seite eines fanatischen Meutepublizismus zu schlagen. Die veröffentlichte Meinung war nahezu einhellig und konnte, zum zweiten Mal nach 1914, im Schlachtruf „Serbien muss sterbien“ subsumiert werden. Die Serben unter Führung von Slobodan Milošević, da war sich der Journalismus ganz sicher, waren das Weltböse, Hitler quasi, und die deutschen Politiker Scharping und Fischer hatten nicht nur einen Hufeisenplan in der Tasche, sondern riefen immerzu „Auschwitz!“ oder wahlweise „Nie wieder Auschwitz!“ Das bodenlose Gekeife diente nicht der Wahrheitsfindung, sondern allein der Mobilmachung; auf die moralischen Angriffe sollten die militärischen folgen. So geschah es, und der Journalismus, der ja eigentlich zumindest skeptisch zu sein hätte gegenüber der Politik, war nicht nur beteiligt, sondern schrieb und schrie vorneweg.

Handke, der im Kriegsliederchor nicht mitsang, wurde dafür wüst beschimpft: Fest im kulturindustriellen Mainstream verwurzelte Feuilletonisten wie Hellmuth Karasek und Robin Detje wollten Handke aus ihrer schreibenden Söldnertruppe verstoßen, obwohl er nie dazugehört hatte, Jürg Laederach nannte ihn einen „lehmverschmierten GröDaZ“. Denn ob einer im deutschen Feuilleton als guter Schriftsteller gilt, hängt vor allem von seiner Gesinnung ab – und von seiner Fähigkeit, eine allgemein gewünschte Gesinnung zu teilen oder ihr wenigstens nichts entgegenzusetzen. Handke aber fuhr nach Serbien, schrieb nicht die allseits verlangten Gräuelgeschichten, und nach dem Tod von Milošević sprach er an dessen Grab. Na und?

Schon möglich, dass Peter Handke einen Dachschaden hat. Wer die Wahrheit sucht, kann sich verirren; wer aber glaubt, sie als Teil der zahlenmäßigen Mehrheit und der Meute automatisch für sich reklamieren zu können, dem muss man erst gar nicht zuhören.

Ein Schriftsteller hat jedes Recht auf seine allein ihm eigene Sicht und Betrachtung der Welt; zu verlangen, er solle ein rundum kompatibler Medienmitmischer sein, kommt der Forderung nach Abschaffung des Schriftstellerberufs gleich. Handkes Vogel, so er denn einen hat, ist wenigstens eine einzeln singende Meise – der man im Zweifelsfall mit mehr Gewinn zuhört als den Krähenschwärmen und dem Pulk der journalistischen Aasvögel.

Zu Heine passt Handke deshalb gut – Heine schrieb in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ die melodischen Zeilen: „Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest / Von konfiszierlichen Büchern.“ WIGLAF DROSTE