Die Felsen des Anstoßes

INSELSTREIT US-Vize Joe Biden kommt auf seiner Asienreise auch nach China. Aber die Stimmung ist angespannt. Dabei bräuchte es jetzt dringend kühle Köpfe sowohl in Peking als auch in Tokio, um den „Ernstfall“ zu verhindern. Hardliner nutzen die Situation

AUS PEKING FELIX LEE

Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte sich Joe Biden für seine Chinareise nicht aussuchen können: Der US-Vizepräsident wollte den bereits vor langer Zeit geplanten Besuch eigentlich dazu nutzen, unter anderem die vielen offenen Fragen zum Handel mit Peking zu klären. Und auch die Haftbedingungen des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo wollte er zur Sprache bringen.

Doch diese Fragen treten nun in den Hintergrund. Überschattet wird sein Aufenthalt vom Streit mit Japan über ein paar Inselchen im Ostchinesischen Meer und der jetzt von Peking vor der Küste ausgerufenen Luftkontrollzone.

Zwar äußerte sich Biden unmittelbar nach seinem Gespräch mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping am Mittwochabend positiv über seinen Gastgeber und betonte, die Beziehung zwischen Washington und Peking würden im 21. Jahrhundert „eine wichtige Rolle“ spielen. Zum Inselstreit aber sagte er nur: „Komplexe Beziehungen erfordern nachhaltiges Engagement auf höchster Ebene.“ Deshalb sei er hier.

Gastgeber Xi bezeichnete Biden als „alten Freund“, sprach ansonsten aber nur davon, dass „vertiefende Kooperation der einzig richtige Weg“ sei. Die Atmosphäre bei den Gesprächen sei angespannt gewesen, heißt es im Umfeld der US-Botschaft. China hatte am 23. November eigenmächtig eine Flugsicherheitszone über dem Ostchinesische Meer eingerichtet. Sämtliche Flugzeuge aus dem Ausland sollen sich nun bei chinesischen Behörden melden und die Flugdaten übermitteln, bevor sie dieses Gebiet überfliegen. Das Prekäre daran: Dieses Areal überlappt eine entsprechende japanischen Zone, einschließlich der umstrittenen Inseln, die in Japan Senkaku heißen und in China Diaoyu. Chinesen und Japaner streiten seit Jahren vehement um diese Inseln. Sie vermuten große Öl- und Gasvorkommen am Meeresgrund.

Nachdem Peking die neue Luftkontrollzone ausrief, schlugen sich die USA jetzt demonstrativ auf die Seite Japans: Aus Protest gegen Chinas Vorstoß ließ die Air Force zwei B52-Bomber über der Zone kreisen.

Aus dem Inselstreit hatte sich Washington bislang zumindest offiziell herausgehalten und lediglich alle Seiten um Besonnenheit gebeten. Dieses Mal sieht die US-Regierung in Peking aber ganz klar den Aggressor und forderte die chinesische Führung wiederholt dazu auf, die Flugsicherheitszone wieder aufzuheben. Washington warnte vor einem gefährlichen Flächenbrand.

Unmut auch in Südkorea

Tatsächlich ärgert sich auch Südkorea über Chinas Vorstoß. Seoul kritisiert, die von der Volksrepublik errichtete Zone umfasse auch einen unter Wasser liegenden Felsen, den Südkorea für sich beansprucht. Die Südkoreaner haben diesem Riff sogar einen Namen gegeben: Ieodo. Die südkoreanische Regierung weitete Anfang der Woche ihrerseits ihre Flugsicherheitszone aus.

Dass Biden in China nicht nur gut Wetter machen wollte, zeigte er am Nachmittag vor der US-Botschaft in Peking. Vor dem Botschaftsgebäude reihen sich täglich lange Schlangen von chinesischen Bürgern, die sich um ein Visum für die Vereinigten Staaten bemühen. Der US-Vizepräsident nutzte die Gelegenheit und rief die Anwesenden dazu auf, „Autoritäten zu hinterfragen“. Er verwies darauf, dass amerikanische Kinder belohnt würden anstatt bestraft, wenn sie den Status quo infrage stellten. Er hoffe, dass junge Chinesen, die die USA besuchten, davon lernten.

Die Staatsmedien verschwiegen bis zum späten Abend diesen Auftritt. Doch im chinesischen Kurznachrichtendienst Sina Weibo entbrannte prompt eine lebhafte Debatte. Ein Blogger empfand Bidens Rede als anmaßend. Die USA solle sich angesichts der NSA und des Umgangs mit Whistleblower Snowden an die eigene Nase fassen. Ein anderer hingegen freute sich über Bidens Ansprache: „Endlich jemand, der recht hat.“

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Mit Argusaugen verfolgt die japanische Regierung die Reise des US-Vizepräsidenten durch Ostasien. Jede Aussage von Joe Biden in der Region wird auf die Goldwaage gelegt. Japan fürchtet, dass der einzige Sicherheitspartner von der eigenen harten Linie abweicht.

Schon der Hinweis des Washingtoner Außenministeriums an die US-Fluggesellschaften, sie sollten ihre Flüge durch die erweiterte Flugzone besser bei den Chinesen anmelden, hatte Tokio verunsichert. Die japanischen Airlines fliegen auf Druck der Regierung unangemeldet durch den Luftraum über den Inseln, die in Japan Senkaku heißen. Erleichtert registrierte Premier Shinzo Abe daher die Beteuerung von Biden bei seinem Stopp in Tokio, dass die USA zu ihren Bündnisverpflichtungen stehen.

Konkret bedeutet dies: Falls China die umstrittenen Inseln angreift, würden die USA Japans Besitzanspruch verteidigen. An einer militärischen Auseinandersetzung mit China wegen ein paar unbewohnter Felsen im Meer hat in Washington jedoch niemand Interesse, was die ängstlichen Zweifel Japans an der Treue des Partners schürt. Die Erweiterung der Luftverteidigungszone wird daher in Tokio als ein Versuch Chinas wahrgenommen, einen Keil in die Allianz mit den USA zu treiben.

Grundsätzlich spielt die Eskalation der Lage im Ostchinesischen Meer jedoch dem nationalistischen Regierungschef Abe in die Hände: Er will das japanische Militär – gegen pazifistische Widerstände im Land – stärken, indem er Artikel 9 der Verfassung neu interpretiert, der die Androhung und Anwendung von Gewalt zur Lösung von internationalen Konflikten verbietet.

Japanische Truppen könnten dann ihren Bündnispartner USA aktiv verteidigen. Zugleich soll Japan auf das wachsende Hegemoniestreben Chinas auch militärisch reagieren – mit höheren Verteidigungsausgaben und verstärkter Raketenabwehr, besserer Luftverteidigung und Küstenschutz. Dagegen würde die Zahl der Panzer um 60 Prozent auf 300 Stück schrumpfen.

Am wichtigsten ist dem Premier eine engere Zusammenarbeit mit den USA – damit Washington im Ernstfall seinen Verpflichtungen auch wirklich nachkommt.

Druck auf Whistleblower

Dafür führt Abe gerade einen Sicherheitsrat nach US-Vorbild ein, der alle sicherheitsrelevanten Informationen bündelt, um schneller auf Bedrohungen reagieren zu können.

Zugleich soll ein neues Gesetz zum Geheimnisschutz dafür sorgen, dass die USA mehr Daten und Dokumente mit Japan teilen. Bislang gelangen geheime Informationen so schnell an die Öffentlichkeit, dass Nippon den Beinamen „Paradies für Spione“ trägt. US-Diplomaten und Militärs zeigen ihrem japanischen Verbündeten deshalb bisher nur wenige Unterlagen. Nun sollen Whistleblower wie Edward Snowden mit der Androhung von bis zu 10 Jahren Haft abgeschreckt werden. Seit Langem schon drängen die USA Japan zu diesem Schritt.

Die Kehrseite der Medaille: Das innenpolitische Klima wird vergiftet. Das Gesetz spricht nur von „bestimmten“ Geheimnissen mit Sicherheitsrelevanz. Es legt aber weder fest, um welche Art Geheimnis es genau geht, noch gibt es eine klare parlamentarische Kontrolle. „Es besteht die Sorge, dass künftig auch Informationen etwa über einen Unfall wie in Fukushima geheim gehalten werden“, erklärt Chris Winkler vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Bürgerrechtler und Journalisten warnen davor, dass Japan in einen Polizeistaat abdriftet.

Dennoch will die Regierungskoalition das Gesetz am Freitag ohne Änderungen beschließen. Der Generalsekretär der Regierungspartei LDP, Shigeru Ishiba, bezeichnete die Proteste sogar als „terroristische Akte“. Später milderte Ishiba seine Aussage ab: Er habe die „Lautstärke“ der Demonstrationen gemeint.

Aber die Opposition fühlt sich in ihrem Verdacht bestärkt, dass Abe demokratische Grundfreiheiten beschneiden will.