Unser Mann in Nairobi

Achim Steiner stellt sehr alte und feste Ansichten infrage. Etwa die, die Umwelt könne nur von Umweltschützern gerettet werden

AUS GENF MICHAEL STRECK

Als sein Name durchsickerte, wurde erst mal eifrig gegoogelt. Wer ist dieser Achim Steiner, der heute, mit nur 44 Jahren, Nachfolger von Klaus Töpfer als Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen wird? Den kaum jemand kennt? Und was ist die IUCN, jene Organisation, die er bis zu seiner Amtseinführung geleitet hat?

Achim Steiner ist natürlich kein No-Name, in umweltpolitischen Fachkreisen hat er sehr wohl einen Namen. Doch für die große Öffentlichkeit ist er bislang ein völlig Unbekannter. Vor allem wohl, weil er kein Berufspolitiker ist, der seine ohnehin steile Karriere mit einem hochrangigen UN-Job krönen müsste.

Steiner ist ein freundlicher Mann. Hose, Jacke und Krawatte sind unperfekt miteinander kombiniert, eher amerikanisch praktisch als italienisch fein. Entspannt sitzt er in seinem Büro, es sind die Tage, bevor er an seinen neuen Dienstort Nairobi geht. Der Raum ist schlicht. An der Wand hängen Fotos: Steiner und Nelson Mandela, Steiner und Kofi Annan. Der Blick aus dem Fenster fällt auf grellgelbe Rapsfelder, dahinter der Genfer See, am Horizont Alpengletscher. Ein idyllischer Ort für den Sitz einer Organisation, die sich World Conservation Union, Weltnaturschutzbund, nennt, abgekürzt IUCN.

Zwanzig Zugminuten von Genf entfernt, versteckt in schweizerischer Kleinstadtlage, steht der schmucklose Gebäudekasten, der wirkt, als solle jede Auffälligkeit vermieden werden. Wer bitte kennt die IUCN, die weltgrößte Naturschutzorganisation, eine Art Umweltföderation mit eigenem Parlament und gewähltem Rat?

„Der mangelnde Bekanntheitsgrad ist frustrierend“, räumt Steiner ein, aber er liegt in der Natur der Sache. Das eigene Profil stehe nicht im Vordergrund, aggressive Kampagnen wie bei Greenpeace stünden nicht auf der Agenda. Die älteste Umweltorganisation, gegründet 1948, analysiert, klärt auf und hilft beim Aufbau von umweltpolitischen Netzwerken. In den Hauptstädten der Entwicklungsländer ist die IUCN eine feste Größe. Kritiker werfen ihr jedoch vor, ständig neue Reports und Studien zu produzieren, die am Ende kaum jemand beachtet und deren Ergebnisse versanden. Die Idee der IUCN sei es nun aber einmal, erklärt Steiner, Politik und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen. Derlei Vorwürfe werden ihm bei seinem neuen Arbeitgeber, der UNO, erspart bleiben: Unep genießt weltweit hohes Ansehen.

Wenn Steiner spricht, wirbeln seine Hände vor dem Oberkörper hin und her. Sonst wirkt er eher ruhig, bedächtig fast. Schwer vorstellbar, dass er wütend werden könnte. Aber diese Zurückgenommenheit täuscht. Er hat gekämpft und einiges erreicht: Unter seiner IUCN-Leitung ist die Zahl der Nationalparks weltweit gestiegen ist, die Organisation hat eine Schutzgebietspolitik durchgesetzt, die die Menschen vor Ort integriert. Er scheut sich auch nicht, den zentralen Misserfolg zu benennen: Der dramatische Schwund der Artenvielfalt konnte bis heute nicht aufgehalten werden.

Steiner ist heute nur kurz hier in der Schweiz. Termine im Stundentakt, dann geht es nach Berlin. Vorträge, Pressetreffen, ein Fernsehteam will ihn einen Tag lang begleiten, das Interesse an seiner Person ist groß. Heute, am Tag der Amtseinführung, wird er endgültig sein neues Domizil in Nairobi aufschlagen.

Spricht er von Afrika, leuchten seine Augen. In Simbabwe lernte er seine Frau kennen. Und in Kapstadt leitete er zwei Jahre die Weltstaudamm-Kommission. Aber er weiß, wie über den UNO-Standort Nairobi geredet wird: dass sich für Jobs dort gutes Personal schwer rekrutieren lässt, dass viele Leute ungern dorthin ziehen, weil die Stadt als unsicher gilt und es keine guten Flugverbindungen gibt. Selbst in der Warteschlange auf dem Genfer Flughafen kann man Gesprächen lauschen, in denen Passagiere darüber nachsinnen, ob sie nach Nairobi umziehen oder doch lieber nach Europa pendeln sollen.

Achim Steiner verteidigt die Stadt: Der UNO-Campus sei topmodern, Videokonferenzen machten die Kommunikation heute viel leichter und schließlich sei Nairobi der einzige UN-Standort in einem Entwicklungsland. Diese Tuchfühlung mit den drängenden Umweltproblemen sei ja wohl wichtiger als bequemes Arbeiten für jetsettende UNO-Mitarbeiter.

Er will im neuen Amt globale Umweltpolitik neu ausrichten. Mit Unep, das von der Debatte um die Reform der Vereinten Nationen nicht verschont wird und stark im prüfenden Blick der Öffentlichkeit steht, hofft er, mehr bewegen zu können als bei der IUCN. Denn Umwelt ist mittlerweile wieder zum Randthema, Nachhaltigkeitspolitik zur „Politik der kleinsten Schritte“ geworden. Die großen Fortschritte der Achtziger- und Neunzigerjahre hält Steiner für verspielt. Der vielleicht gewichtigste Grund dafür, meint er, bestehe darin, dass die damals getroffenen Abmachungen zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern aus Sicht der Armen nicht eingelöst wurden. Entwicklungshilfegelder wurden gekürzt, Industrieländer erfüllen ihre Zusagen nicht, etwa wenn es um den Marktzugang für Agrargüter geht. „Umweltschutz und Armutsbekämpfung sind eine historische Verantwortung der Industrienationen. Das muss der Norden begreifen“, sagt er eindringlich.

Es ist der Moment, in dem man begreift: Der Mann handelt aus Überzeugung. Er stellt sehr alte und feste Ansichten infrage. Etwa die in Europa weit verbreitete Meinung, die Umwelt könne nur von Umweltschützern gerettet werden. Steiner fordert ein konstruktiveres Verhältnis zur Wirtschaft.

„Achim Steiner hat erkannt, dass der Markt für den Umweltschutz genutzt werden muss“, erklärt Torsten Benner vom Global Public Policy Institute in Berlin, das internationale Organisationen erforscht und berät. In Steiners Augen kann die Umweltbewegung nur dann weiter relevant sein, wenn sie ihren ideologischen Ballast über Bord wirft – etwa in Unternehmen stets die Buhmänner zu sehen. Das sagt einer, der als Anwalt der Nichtregierungsorganisationen gilt, der ihnen die Türen zu Weltbank, UNO und Ministerien geöffnet hat. „Er hat sie in die Hinterzimmer der Weltpolitik geführt“, so Benner, seine Strategie sei gewesen, die Zivilgesellschaft einzubeziehen.

Steiners grundsätzliche Wertschätzung für zivilgesellschaftliche Gruppen hat mit seiner Biografie zu tun. Er ist in Brasilien aufgewachsen, hat in London und Berlin studiert und anschließend als Freiwilliger in Indien gearbeitet. „Das tiefe Erleben von Armut hat mein eigenes Leben relativiert“, sagt er. Er zog daraus seine persönlichen Konsequenzen und ging in die internationale Entwicklungsarbeit. Selbst heute noch macht er den Eindruck, als könne er seinen Anzug jederzeit wieder mit Arbeitsstiefeln tauschen und irgendwo in der Steppe Brunnen bohren.

Sicher, sagt er, er mache sich da nichts vor – die Nachrichten über den Zustand der Umwelt seien oft deprimierend. „Wir werden es noch erleben, dass Ökosysteme kollabieren.“ Doch wenn er – wie unlängst bei einem Vortrag in Berlin – solche hochdramatischen Sätze in ruhigem Ton vorbringt und im selben Atemzug kleinmütige Politik geißelt, stutzt man. Denn durch die Art, wie er es sagt, wird die Schärfe abgemildert. Vielleicht ist dies eine seiner Stärken, womöglich im neuen Amt eine Schwäche: Kritik so vorzubringen, dass ihm das Gesagte keiner übel nimmt, dass es nicht als Bedrohung wahrgenommen wird.

Achim Steiner verfügt aber über eine weitere entscheidende Fähigkeit, die er brauchen wird, um auf dem internationalen Parkett nicht auszurutschen. Es ist die Fähigkeit, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, „sich mit großem Enthusiasmus durch fremde Kulturen zu bewegen“, wie er das formuliert, und Respekt vor anderen Positionen zu haben. Er betrachtet die Umweltpolitik gern aus einer historischen Perspektive. Etwa dass nach dem 1992er-Umweltgipfel von Rio binnen zehn Jahren ein Klimaabkommen verabschiedet wurde, das vorher undenkbar schien. Er nennt Vorbildländer wie Costa Rica, das es geschafft hat, Artenschwund und Entwaldung zu stoppen, sie gar umzukehren. Oder Schweden, das jüngst erklärt hat, sich bis 2020 vom Öl unabhängig machen zu wollen. Man müsse den tagespolitischen Stellenwert gegen objektive Rückschläge und Fortschritte abwägen: „Als Umweltpolitiker muss man lernen, Atmosphärisches von Grundsätzlichem zu trennen.“

Dazu gehört auch der Streit, ob der Schutz der Umwelt eine eigenständige Organisation im UNO-System überhaupt nötig macht, vergleichbar der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Bundesregierung unterstützt diese Position offiziell. Steiner ist skeptisch, will sich aber in dieser Frage erst einmal nicht festlegen. Entscheidend sei für ihn, dass Umweltpolitik ein integraler Bestandteil der anderen Politikfelder wird, wie Sicherheit und Wirtschaft – „nur dann ist sie erfolgversprechend“.

Was will er als neuer Unep-Chef erreichen? Steiner denkt nach. Mögliche Sackgassen aufzuzeigen und den Betroffenen hinauszuhelfen, sagt er dann. Dass er das kann, daran lassen seine Wegbegleiter keinen Zweifel. Etwa Hans Schipulle, Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auf Fremde wirke Steiner manchmal vielleicht „lau und angepasst“, sagt er. Ein Irrtum. Steiner verfolge seine Visionen zielstrebig und mit großer Überzeugungskraft, international und innerhalb der UNO genieße er großen Respekt. Mit seiner Ernennung durch den Generalsekretär werde Kompetenz honoriert. Dennoch sei die Berufung ein mutiger Schritt, meint Schipulle, immerhin habe sich Annan angreifbar damit gemacht, nach Klaus Töpfer erneut einen Deutschen zu berufen – in der Regel folgt ein Nachfolger aus einem anderen Land. Wohl auch deshalb hatte sich die deutsche Diplomatiemaschine anfangs gar nicht für Steiner stark gemacht. So ging er als unabhängiger Kandidat ins Rennen. Und gewann. Mit der Kraft der Ruhe.