Richtermord im Gerichtssaal: Belgien ist entsetzt

JUSTIZ Kurz vor Neuwahlen heizt die Erschießung einer „Friedensrichterin“ den Wahlkampf an

Vorrangig sei es, die Kriminalität noch konsequenter zu bekämpfen

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Ein junger Mann hat gestern am späten Vormittag im Zuschauersaal eines Brüsseler Friedensgerichts eine kurz vor der Pensionierung stehende Richterin und einen Gerichtsschreiber erschossen. Die Hintergründe der Tat sind unklar, der Täter ist flüchtig. Die Polizei riegelte das Viertel ab. Nach Angaben des belgischen Justizministers war es der erste Vorfall dieser Art in einem belgischen Gericht.

Nach Zeugenaussagen flüchtete der Mann nach der Tat in das nahe Marollenviertel. Das Brüsseler Gerichtsviertel mit seinem die Stadt überragenden Justizpalast wurde Ende des 19. Jahrhunderts ganz bewusst an dieser Stelle gebaut, um der armen Bevölkerung die Allmacht der Justiz täglich vor Augen zu führen. Gestern nahm die Begegnung dieser beiden Welten in Brüssel einen tödlichen Ausgang.

Belgische Friedensgerichte sind nicht für Strafsachen zuständig, sondern für kleinere Zivilstreitigkeiten, Familienrechtsfragen wie Adoptionen und die Einweisung von Personen in psychiatrische Kliniken. Sofort nach der Tat wurden Forderungen nach strengeren Eingangskontrollen für die Gerichtsgebäude laut. Der scheidende Justizminister Stefaan De Clercq sagte, weil Friedensrichter sich üblicherweise nicht mit schwerer Kriminalität befassen, seien dort die Kontrollen weniger strikt als in anderen Justizgebäuden. „Wir müssen mehr tun, aber wir können nicht jeden Sitzungssaal eines Friedensrichters kontrollieren.“ Vorrangig sei es, die Kriminalität noch konsequenter zu bekämpfen.

Der Präsident der Sozialistischen Partei Belgiens, Elio Di Rupo, äußerte sich in einer ersten Reaktion „tief schockiert über die Ereignisse, die von einer extremen Gewalt zeugen“. Gerade Friedensgerichte seien „ein Raum der Freiheit und der Demokratie“. Ein Rechtsstaat dürfe solche Taten nicht dulden.

In den vergangenen Monaten hatten sich in Belgiens Hauptstadt Berichte über besonders gewalttätigen Straßenraub gehäuft. Das Thema spielt auch im Wahlkampf eine Rolle: Am 13. Juni finden aufgrund des Zusammenbruchs der Regierung Leterme Neuwahlen statt.