Vergessener Spitzensport

Das Jüdische Museum geht in seiner neuen Ausstellung „Schneller, höher, weiter“ der Geschichte jüdischer Sportvereine zwischen 1898 und 1938 in Berlin nach. Sie waren Vorreiter für den jüdischen Sport weltweit

Kurt Seifman steht gebannt vor einem großen Bildschirm im Jüdischen Museum. Dort laufen historische Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen des ersten internationalen jüdischen Sportfests „Makkabi“ in Tel Aviv 1932, gedreht von einem Teilnehmer.

Als ein Schild, auf dem auf Hebräisch und auf Deutsch „Deutschland“ steht, ins Bild kommt, lächelt der 93-Jährige. „Das Schild habe ich damals getragen“, sagt er. Seifman war Gast bei der Ausstellungseröffnung von „Höher, schneller, weiter“ im Jüdischen Museum. Thematisiert wird darin die Jüdische Sportbewegung 1898 bis 1938. „Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft wollen wir an ein wenig beachtetes Kapitel der jüdischen Geschichte in Deutschland erinnern“, erklärte gestern Manfred Wichmann, Kurator der Ausstellung. Die Berliner Sportvereine seien Grundstein und Vorreiter für den jüdischen Sport weltweit gewesen.

Die Ausstellung stellt die bekanntesten jüdischen Vereine und beispielhafte Persönlichkeiten vor, darunter den allerersten deutschen Olympiasieger Alfred Flatow. Der Berliner gewann bei den ersten Spielen der Neuzeit in Athen 1896 drei Goldmedaillen an Barren und Reck. Die Nationalsozialisten deportierten ihn 1942 nach Theresienstadt, wo er wenig später verhungerte.

Besondere Exponate sind die Sportfotografien des Fotografen Herbert Sonnenfeld und das private Filmmaterial des Leichtathleten Felix Simmenauer von den Makkabi-Sportfesten 1929 und 1932. Sie sind noch heute ein Pendant zu den Olympischen Spielen und gelten als das wichtigste Sportfest für jüdische Athleten aus aller Welt.

„Mit der Gründung des Jüdischen Turnvereins ‚Bar Kochba‘ in Berlin begann 1898 die Geschichte der jüdischen Sportvereine in Deutschland“, erklärte Wichmann. Die Ausstellung zeige, wie sich ein kleiner Sportverein in enger Verbindung zur zionistischen Bewegung entwickelte und bewusst das jüdische Selbstverständnis prägte. In den 20er-Jahren übernahmen dann die jüdischen Sportvereine die führende Rolle bei der Gründung des Makkabi-Weltverbandes, der internationalen Dachorganisation der jüdischen Sportbewegung. Berlin wurde deren Hauptsitz.

Viele jüdische Sportler standen jedoch dem Zionismus und somit auch der Makkabi-Bewegung ablehnend gegenüber und blieben Mitglied in allgemeinen Sportvereinen. Dies änderte sich schlagartig, als das nationalsozialistische Regime 1933 jüdische Sportler aus diesen Vereinen ausschloss. Die Anzahl der Mitglieder jüdischer Sportvereine in Deutschland vervierfachte sich danach auf etwa 40.000 Mitglieder. „Man nennt diese Zeit deshalb auch die ‚Scheinblütezeit‘ der Vereine“, erklärte Wichmann.

Nach den Olympischen Spielen 1936 führten zunehmende Verfolgung und Auswanderung vieler Mitglieder zum Ende des jüdischen Sports in Deutschland. Beim Novemberpogrom 1938 wurden die letzten verbliebenen Aktivisten und Funktionäre verhaftet; die jüdischen Sportvereine hörten auf zu existieren.

Kurt Seifman war bei den ersten Makkabi-Spielen 1932 Torhüter der Handballmannschaft. „Die jüdischen Sportvereine haben uns nicht nur die Möglichkeit zur Bewegung gegeben“, sagte der 93-Jährige. „Sie waren eine Heimat für uns, die uns von den Nazis weggenommen wurde.“ Dies werde in der Ausstellung nicht explizit erwähnt. Seifman konnte rechtzeitig aus Deutschland flüchten und wanderte 1938 in die USA aus. Kays Al-Khanak

Die Ausstellung „Schneller, höher, weiter“ im Jüdischen Museum ist bis zum 26. November täglich von 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr, geöffnet