IN GROPIUSSTADT
: Beton, das neue Holz

Aha, soziale Durchmischung, dachten wir

Die Sonne schien hell über Gropiusstadt. Die kleine Trabantenstadt war mit Plakaten beklebt, es gab die „Lesewochen Neukölln“, und die SchülerInnen der Umgebung hatten fleißig ihren Stadtteil bedichtet. An den Häusern hingen jetzt Sprüche wie „Grau ist das neue Pink“ oder „Wer Neukölln hat, braucht keinen Urlaub“. Gefördert hatte das eine gewisse Wohnungsbaugesellschaft. Vielleicht kein Wunder, dass ebenfalls eingereichte Sprüche wie „Neukölln: Besser mit Messer“ oder „Wer das lesen kann, wohnt nicht hier“ es nicht auf die Plakate geschafft haben.

Beim dazugehörigen Gedichtwettbewerb hatten wir die Jury gemimt, hatten Bestechungsversuche („Nicht immer dieselbe Schule auswählen!“) und sonstige Ranschmeiße (ein Lehrkörper verstieg sich zu der Annahme, unsere literarisch wertvollen Bücher lägen irgendwo als „Infomaterial“ aus) überstanden und saßen nun zufrieden auf Bierbänken inmitten einer kleinen Budenwelt auf dem Zentralplatz von Gropiusstadt.

Vorn auf der Bühne versuchte sich ein gemischter Chor älterer Leute an osteuropäischem Liedgut, dazu gab es Paartanz. Das sah leider dilettantisch aus und hörte sich auch recht schlimm an, da hatte die Schülerkapelle vorhin Besseres geleistet. Wir hörten weg, standen auf und schauten uns um. Rund um den Platz gab es viel Grün. Aus dem Grün stakten Hochhäuser. Schlimme Problemarchitektur, Beton war das neue Holz. Oder Glas. Oder was auch immer. Mitten unter den Hochhäusern stand plötzlich eine Bungalowreihe. Aha, soziale Durchmischung, dachten wir, ein Platz für alte Leute, es sah gleich nach Jägerzaun, Häkeldeckchen und Gartenzwergen aus.

Die Migrationshintergründe saßen im Park. Ich fragte, ob aus Tasmania jemals wieder irgendetwas wird. Und ob Christiane F. noch lebt. Die kam doch auch von hier. RENÉ HAMANN