Der Traum von einem freien Austausch

NETZWERKE Gegen die Musealisierung von Bräuchen und Traditionen, für eine Anbindung an die internationale Kulturindustrie: Welche Rolle kann die Kultur für die Entwicklung Afrikas spielen?

■ ist Professor für Geschichte und Politik in Johannesburg. Im dortigen Goethe-Institut trug er diesen Essay vor. Eine längere Fassung erscheint im Magazin des Goethe-Instituts.

VON ACHILLE MBEMBE

Die Zeit ist vorbei, in der die Afrikaner Differenzen und lokale Besonderheiten verklärt haben – ebenso wie die Zeit, in der wir glaubten, dass in jeder Form kulturellen Ausdrucks einzig dessen „Authentizität“ zähle, die starke Prägung durch die „Ursprünge“. Die Suche nach etwas ganz Eigenem, das uns allein gehört und unser eigenes Wesen ausmacht, hat uns in den meisten Fällen in eine Sackgasse geführt.

Es ist wahr, dass die kulturelle Hegemonie immer noch die wirtschaftlichen und geopolitischen Beziehungen bestimmt. Sie ruft immer noch tiefe Ungleichheiten hervor oder erhält diese aufrecht. Doch in unserer Zeit werden in verschiedenen Teilen der Welt – auch in Afrika – Kunst und Kultur zunehmend vom transnationalen Austausch bestimmt.

Rein vom Standpunkt der Kulturgeschichte aus betrachtet, war dies auf unserem Kontinent eigentlich immer der Fall. Die afrikanischen Formen der Kreativität und Innovation waren stets das Ergebnis von Migration, Entwurzelung und Überschreitung festgelegter Formen und Grenzen. Wir waren stets in der Lage, originelle und radikal neue Dinge zu schaffen, sobald wir unsere traditionellen Formen in und durch die vielfältigen anderen Kulturen zum Sprechen brachten; sobald wir das, was wir von unseren Nachbarn oder fernen Freunden übernommen hatten, vor Ort einsetzen konnten; sobald wir die Dinge universell machen konnten, das heißt, wenn wir sie übersetzen.

Wie Frantz Fanon vor nicht allzu langer Zeit schrieb, kann in der Welt, in der wir leben, nichts mehr als ausschließlich europäisch, amerikanisch, chinesisch, indisch oder afrikanisch gelten. Die gesamte Welt ist unser Erbe. Kultureller Ausdruck, Kreativität und Innovation bedeuten heute nicht mehr, an toten Bräuchen festzuhalten, sondern vielfältige Wege auszuhandeln, die Welt zu bewohnen.

Der Kampf um Ausdruck

Wir leben in einer Zeit, in der einige der originellsten und beeindruckendsten Formen kulturellen und künstlerischen Schaffens im Rahmen von Bewegung und Mobilität entstehen – und für diejenigen von uns, die in Afrika leben, auch in Zeiten extremer Instabilität, Unsicherheit oder gar in Notlagen. Unter derart extremen und schnelllebigen Umständen manifestiert sich Kreativität häufig ganz praktisch als Fähigkeit, mit Provisorien umzugehen, zu improvisieren und sich in einer Welt in Bewegung – häufiger sogar in Turbulenz – immer wieder neu anzupassen. Kreativität entsteht durch eine andauernde Beschäftigung mit der Vorläufigkeit.

Praktisch bedeutet das, Kunst zu machen und zur selben Zeit kulturelle Institutionen fast aus dem Nichts aufzubauen, sie zu beleben und in einem sehr ungünstigen Klima Gelder aufzutreiben – kurz, von einem Tag zum anderen zu überleben.

Dies sind ganz allgemein einige der Umstände, unter denen zwar nicht in Südafrika, aber in weiten Teilen des Kontinents der Kampf um Ausdruck, Stimme, Schöpfung und Darstellung – und das bedeutet für mich Kulturarbeit – stattfindet. Wie verhält sich das zu der Tatsache, dass in der internationalen Debatte die Rolle der Kultur in der wirtschaftlichen Entwicklung wieder einmal auf der Tagesordnung steht und die Rede von „Kultur und Entwicklung“ inzwischen weltweit verbreitet ist?

Trotz allem müssen wir mit der Tatsache umgehen, dass Kultur zu einer Ware geworden ist

Seit den 1960er-Jahren war Entwicklung als Ideologie (und schließlich auch als Praxis) ein Eckpfeiler der staatlichen Legitimationsstrategien in den meisten Teilen der vormals kolonisierten Welt. Dem allgemeinen Verständnis zufolge bestand Entwicklung aus zwei Komponenten: einer „wirtschaftlichen“ (der Logik des Marktes) und einer politischen Komponente („nation-building“ und der Logik des Nationalismus).

Im Vokabular insbesondere der afrikanischen postkolonialen Staaten war mit der Rede von „Kultur und Entwicklung“ stets ein Jargon der Disziplin und Kontrolle gemeint. Es geht ihnen immer noch nur selten um die Förderung der kreativen Potenziale und Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Bürger. Sie denken dabei im Allgemeinen an eine Technologie zur Einhaltung der offiziellen Regeln der neuen Führungsschicht. Im Namen von „Kultur und Entwicklung“ können die Behörden zum Beispiel die Überwachung des künstlerischen Ausdrucks verstärken, verschiedene Freiheiten beschneiden und versuchen, im Namen offizieller Wertsysteme oder Ideologien bestimmte Denk- und Verhaltensweisen vorzuschreiben.

Dennoch ist heute „Kultur und Entwicklung“ ein in den internationalen Entwicklungsorganisationen weit verbreitetes Schlagwort. Manche westlichen Regierungen haben diesen Slogan übernommen, um ihre eigenen Interventionen in der Dritten Welt zu rechtfertigen. Selbst die Weltbank stimmt in den großen Chor mit ein. Die Rede von „Kultur und Entwicklung“ hat trotz der offensichtlichen Unklarheit dieser Begriffe die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger geweckt und nun das normative Feld besetzt.

In ihrer einfachsten Form setzt diese Rede Folgendes voraus: 1. Die Marktlogik ist alles, was Kunst und Kultur brauchen, um zu funktionieren; 2. Kunst und Kultur sollten bei der Linderung der Armut und der Besserung sozialer Missstände eine zentrale Rolle spielen. Irgendwie müssen Kunst und Kultur die natürlichen Beschränkungen und Pannen der Marktmechanismen im Sinne der Effizienz, Effektivität und Billigkeit ergänzen.

Tatsächlich geht es bei dem Verhältnis von Kultur und Wirtschaft/Markt/Entwicklung aber um mehr, als eine derart vereinfachte Semantik vermuten lässt. Nicht jede einzelne kulturelle Aktivität oder Praxis kann Rendite abwerfen. Wenn Kunst und Kultur in einer freien Gesellschaft überhaupt eine Rolle spielen, dann wohl bei der Förderung der menschlichen Fähigkeiten, und zwar zunächst der Fähigkeit zur Selbstdarstellung und der Fähigkeit, sich eine andere Zukunft vorzustellen, diese Vorstellung auszudrücken und zu verfolgen.

Kulturwirtschaft in Afrika

Trotz alledem müssen wir mit der Tatsache umgehen, dass Kultur eine Ware geworden ist, die von den Medien gestaltet und wie jede andere Ware auf dem Markt ge- und verkauft werden kann – eine Form des Eigentums, auf das man auch ein Monopol haben kann. Deshalb müssen wir einen afrikanischen Kunstmarkt aufbauen, der gut an das internationale Netzwerk der Kulturindustrien angebunden ist.

Kultur – das bedeutet, vielfältige Wege auszuhandeln, die Welt zu bewohnen

Professionelle Galerien verdienen Ermutigung, und Privatbanken sollten innovative Instrumente entwickeln, um ihre Kredite und Finanzierungsmöglichkeiten auch auf Kulturkonsortien auszuweiten. Unsere großen Städte müssen zentrale Kulturbezirke mit Steuervorteilen für Künstler und Sammler einrichten. Wir müssen uns das Wachstum der afrikanischen Diaspora und die Formen, in denen diese Diaspora im Verlauf der Geschichte zur Verbreitung und zum Export hybrider afrikanischer Formen der Populärkultur beigetragen hat, zunutze machen. Wir müssen lokale Kunstmessen fördern und einige wichtige Biennalen sowie mindestens einen Afrika-Diaspora-Karneval auf unserem Kontinent unterhalten. Das sind einige der Elemente, mit denen wir eine glaubwürdige Kulturwirtschaft in Afrika aufbauen werden.

Doch wir brauchen auch kreative Synergien mit anderen Disziplinen, vor allem mit der kritischen Theorie. Ohne eine kulturelle Infrastruktur mit Kulturmagazinen, Zeitungen und Zeitschriften sowie der Etablierung einer seriösen Kritik und ohne eine bedeutende Investition in kritische Theorie wird unsere künstlerische Produktion im Bereich des Kunsthandwerks stecken bleiben, und es wird immer anderen überlassen sein, die intellektuellen, theoretischen und politischen Maßstäbe zu diktieren, nach denen sie auf der internationalen Bühne Anerkennung findet.

Vielleicht ist es möglich, unser Verständnis und unsere Interpretation des komplexen Verhältnisses von Kunst und Kultur einerseits und Entwicklung oder menschlicher Emanzipation andererseits zu vertiefen. Was Kunst, Kultur und „Entwicklung“ zusammenbringt, ist idealerweise die Tatsache, dass alle drei Begriffe auf die Fähigkeit zielen, durch Fantasie und Erfindungsgabe etwas radikal Neues und Originelles zu produzieren. Ohne Neuheit und Originalität haben weder Kultur noch Entwicklung eine Bedeutung.

Damit dies möglich wird, können wir uns nicht vollständig auf die Bereitschaft der Unternehmen zum Sponsoring verlassen. Ich träume von einer Zeit, in der die westlichen Förderorganisationen es als eine ihrer grundlegenden Aufgaben ansehen, die geltenden Maßstäbe zur Beurteilung des Wertes und der Qualität der Kunst und eines einzelnen Kunstwerks zu verändern. Solche Förderorganisationen könnten uns helfen, uns von einem rein vergangenheitsbezogenen Verständnis unserer Kultur endgültig zu lösen, das diese auf Bräuche und Traditionen, Kulturerbe, Denkmäler und Museen reduziert. Sie könnten uns helfen, Kultur als einen Weg zu betrachten, wie menschliche Wesen sich ihre je eigene Zukunft ausmalen und sich dafür einsetzen.

Aus dem Englischen

von Sabine Jainski