Die Biobienchen

Michael Grolm würde für seine Bienen ins Gefängnis gehen, wenn er sie damit vor genmanipulierten Honigpflanzen bewahren könnte

VON CORNELIA KURTH

Er ist sehr groß und stark, blond und blauäugig, ein echter Recke. Und doch hat der studierte Agraringenieur Michael Grolm den scheinbar friedlichsten Beruf der Welt. Der 34-Jährige ist Imker, Bioimker. Seine Bienenvölker wohnen in Bienenstöcken aus Holz, sie speichern den Honig in Naturwaben, und sie „wandern“ mit ihrem Bienenvater durch ganz Deutschland zu den nektarreichsten Akazien- und Edelkastanienwäldern, Streuobstwiesen, in die Heide und dorthin, wo der Raps blüht.

Der so gewonnene Honig wird besonders schonend geerntet und verarbeitet, und da die Bienen sich auch im Winter nur vom eigenen Honig und Ökozucker ernähren – und bei Krankheitsbefall ausschließlich mit natürlichen Heilstoffen behandelt werden – kann der Bioimker seine köstliche Ware mit Recht zum guten Preis an die Wochenmarktkunden bringen. Die fleißigen Nektarsammlerinnen behandelt er mit Respekt: Er verzichtet zum Beispiel darauf, die Flügel der Bienenköniginnen zu beschneiden, auch wenn man dann ganz besonders gut aufpassen muss, dass eine womöglich abenteuerlich gesinnte Monarchin nicht mitsamt ihrem Schwarm entflieht.

Trotzdem ist es gut, dass Michael Grolm nicht nur aussieht wie ein Recke, sondern auch wirklich einer ist, ein Vorkämpfer für eine Welt, in der Bienen weiterhin die Chance haben, gesunden Honig zu produzieren. Diese Chancen schwinden nämlich, wenn ringsum die stark gedüngten, herbizidverseuchten Monokulturen zunehmen, wenn die Obstbäume an den Feldwegen verschwinden, weil sie die Landwirtschaft stören, und importierte Milbenarten die Bienenvölker tödlich bedrohen. Die größte Gefahr aber liegt in einem in naher Zukunft möglichen Anbau genmanipulierter Pflanzen, deren Pollen im Honig landen können.

Von einer „Grünen Gentechnologie“ in Deutschland, der „Agrogentechnik“, war allerdings noch kaum die Rede, als der Schüler Michael Grolm die erste Naturschutzjugendgruppe in seiner Heimatstadt Rinteln gründete und regelmäßig Aktionen rund um Greenpeace und Castor-Transporte auf dem – ansonsten von solchen Ereignissen weitgehend verschonten – Kleinstadtmarktplatz organisierte. Er wurde bestgehasster Auszubildender im städtischen Gartenbauamt, weil er die Finger in alle ökologischen Wunden legte, er pflanzte (das tut er heute noch bei jeder Gelegenheit) hunderte illegale Obstbäume, wo immer sich ein Plätzchen dafür fand, und er hängte regelmäßig Nistkästen für Schleiereulen auf.

Der Naturschützer hat noch nie geraucht, trinkt keinen Alkohol, ernährt sich konsequent von Biolebensmitteln, und diejenigen, die das alles vielleicht ein bisschen übertrieben fanden, beeindruckte er damit, dass er deutscher Meister im Kirschkernweitspucken wurde. Unglaubliche 23,61 Meter weit spuckte er, ein bisher nur einmal gebrochener Rekord, der seinem jahrelangen Training als Mitglied einer Bande jugendlicher Kirschräuber auf den Bäumen des „Kirschendorfs“ Todenmann zu verdanken ist.

Und natürlich konnte einer wie Michael Grolm nirgendwo anders studieren als im hübschen kleinen Witzenhausen, an der Landwirtschaftlichen Hochschule mit dem europaweit einzigen Vollstudiengang „Ökologischer Landbau“, wo sich traditionell die engagierten Ökokämpfer einschreiben, um sich dann mit einem entsprechenden Wissen gegen die industrielle Zerstörung von Natur und Lebensart wehren zu können.

Eine der ersten großen Aktionen gegen die aufkommende Agrogentechnik“ fand vor zwei Jahren in Stuttgart statt: „Oh, ich bin froh, dass wir inzwischen gelernt haben, wie man so was richtig organisiert!“ Nur schaudernd erinnert sich Michael Grolm an die aufwändigen Vorbereitungen für die Demonstration, wo neben tausenden von Demonstranten auch 300 Landwirte mit ihren Treckern antuckerten. „Die haben wir alle einzeln in stundenlangen Gesprächen bearbeitet, dass sich die Mühe machen und in die Stadt kommen sollen“, erzählt er.

Die Überzeugungsarbeit gelang, denn Michael Grolm hat nicht nur Agrarwissenschaften studiert, sondern entstammt selbst einer bäuerlichen Familie. Er hat keine Probleme, die Sprache der Bauern zu sprechen. Aber es war klar, dass die eigene Imkerei auf die Dauer solch revolutionäre Schwerarbeit nicht überleben würde. Und um das Überleben als Imker geht es Michael Grolm ja schließlich, es ist der Dreh- und Angelpunkt seines nicht nur ideellen Engagements.

Als im letzten Jahr zum ersten Mal in Deutschland genmanipulierter Mais für kommerzielle Zwecke angebaut werden durfte – die Firma Monsanto arbeitet dafür mit überwiegend ostdeutschen Landwirten zusammen –, riefen Grolm und sein Imkerkollege Jürgen Binder einen spektakulären Potest ins Leben, eine Aktion des zivilen Ungehorsams, die im Vorfeld mit einer großen Anzeige in der taz angekündigt wurde. Es ging um eine „Freiwillige Feldbefreiung“: In dem Dörfchen Strausberg bei Berlin sollte der dort auf einem zehn Hektar großen Feld angebaute Genmais noch vor der Ernte zerstört werden. Etwa dreihundert „Feldbefreier“ trafen ein – und ebenso viele Polizisten mit Wasserwerfern und Räumungspanzern. Man kann nicht sagen, dass angesichts dieser großartigen Verteidigung besonders viele Maispflanzen ausgerupft wurden, aber die mediale Wirkung war ganz im Sinne der Erfinder: Die Aktion schaffte es bis in die „Tagesthemen“. „Ja, Feldbefreiungen hatte es durchaus schon vorher mal gegeben, aber niemand interessierte sich für diese Nacht-und-Nebel-Aktionen, bei denen die Beteiligten einfach kein Gesicht bekamen. Wir aber sind Berufsimker und Landwirte, wir haben unmittelbare, bodenständige Argumente – es geht um unsere Existenz!“, erklärt Grolm den Erfolg.

Mahnendes Exempel ist Kanada, wo seit zehn Jahren genmanipulierter Raps angebaut wird. Die Pflanzen vermehren sich selbstständig, wuchern wie Unkraut, weil sie gegen Herbizide resistent gemacht wurden, und es ist sowohl Menschen als auch Bienen längst unmöglich, eine Trennlinie zwischen „konventionellem“ Raps und dem Genraps zu ziehen. Nach entsprechenden Bewertungen von Ökotest will in Deutschland niemand mehr den einst so beliebten kanadischen Blütenhonig haben. Sogar die Firma Langnese, nicht gerade bekannt für den Absatz von Biohonig, verzichtet für ihren gemischten „Imker-Honig“ auf Honig aus Kanada.

Nun besteht bei der derzeit noch relativ geringen Größe der Versuchsanbauflächen in Deutschland keine unmittelbare Gefahr, dass Honig gentechnisch verunreinigt werden könnte. „Man muss aber bedenken, dass es – siehe Nordamerika – keine Koexistenz zwischen konventionellem und genmanipuliertem Anbau geben kann“, darauf weist Grolm immer wieder hin. „Und eine einmal begonnene Entwicklung lässt sich nicht rückgängig machen.“ Mit einem Honig, der sich „Biohonig“ nennen dürfte, wäre es dann jedenfalls aus und überhaupt mit der Qualität des Honigs als uraltes Heilmittel und überaus gesundes Nahrungsmittel. „Woher soll man wissen, welcher Honig gentechnisch verunreinigt ist und welcher nicht? Ich kann Bienen ja schließlich nicht in eine umzäunte heile Welt einsperren.“

Und so folgt der ersten „Freiwilligen Feldbefreiung“ jetzt eine zweite „Befreiung“, diesmal am 30. Juli in der Nähe der Stadt Brandenburg. Zahlreiche Gentechnikgegner auch aus Frankreich, Kanada und anderen Ländern werden zu einem lebhaften Pfingstwochenende anreisen, Vorträge halten und diskutieren. Und höchstwahrscheinlich folgt danach wieder ein Prozess, wegen „Aufrufs zu einer Straftat“. „Wir haben zwar zu einer Straftat nie aufgerufen, wir haben nur bekannt gegeben, dass wir etwas vorhaben – aber trotzdem macht es nichts“, meint der wackere Kämpfer. „Unsere einzige Chance ist es ja, immer neu Aufmerksamkeit zu erregen. Ich freue mich schon darauf, unsere Beweggründe erklären zu können.“ Wenn es der Sache dienen würde, ginge er sogar ins Gefängnis, jedenfalls für eine Zeitspanne, in der die Bienen ohne seine Fürsorge auskommen können.

Mit 33 anderen Menschen hat der Bioimker kürzlich das alte Schloss Tonndorf zwischen Weimar und Erfurt gekauft, um dort in einer genossenschaftlich organisierten Gemeinschaft zu leben. Fünfzehn Hektar Land gehören zum Schloss, davon sind drei Hektar alte Obstwiesen – ein Imkertraum. Achtzig neue Bäume hat er in guter Tradition bereits gepflanzt.

Noch ist Thüringen das einzige ostdeutsche Bundesland, das von gentechnischen Freilandversuchen weitgehend verschont blieb. Und wer sie dort durchsetzen will, hat sicher keine guten Karten.

CORNELIA KURTH, geboren 1960, lebt als freie Autorin in Rinteln