Soll man im Flugzeug telefonieren dürfen?
Ja

FUNKT Die US-Behörde FCC will Handy-Telefonate an Bord erlauben. Mit der Ruhe über den Wolken könnte es also bald vorbei sein

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Stefan Koetz, 51, sitzt der Geschäftsführung der Mobilfunk-Firma Ericsson vor

Technisch stellt es überhaupt kein Problem dar, auch während des Fluges mit einem Mobiltelefon zu telefonieren. Wir haben bereits im Jahr 2005 eine entsprechende Lösung auf den Markt gebracht. Dabei verbinden sich die Handys an Bord mit einer Basisstation, die wiederum per Satellit die Gespräche in alle Welt überträgt. Der Bordfunkverkehr wird nicht beeinträchtigt. Die Frage, die sich die meisten Airlines stellen, ist aber eine andere: Wie viele meiner mehreren hundert Passagiere fühlen sich nicht gestört, wenn um sie herum ständig viele Menschen telefonierten? In Zügen gibt es neben Ruheabteilen solche, in denen telefoniert werden kann. In Flugzeugen ist das nicht absehbar. Was stattdessen immer häufiger angeboten wird, ist WiFi für die Datenübertragung. Das schätzen Geschäftsreisende beispielsweise für die Email-Kommunikation auf Interkontinentalflügen.

Angela Wilhelm, 51, Autorin, hat das Buch „Flugangst besiegen“ geschrieben

Manchem Passagier mit Flugangst hilft es vielleicht, mit jemandem telefonieren zu können, der vertraut ist und beruhigend wirkt. Dann kann das ein Anker sein, den Flug zu überstehen. Ein Handy kann man außerdem gut für andere Aktivitäten wie Musik, Spiele oder Hörbücher nutzen. So kann sich ein Flugängstlicher ein E-Book gegen Flugangst laden und die beschriebene Selbsthilfe anwenden. Trotzdem gilt es, unterschiedlichste Bedürfnisse der Fluggäste unter einen Hut zu bekommen, so dass sich niemand gestört fühlt. Das funktioniert nur mit Rücksichtnahme.

Ian Dawkins, 55, ist CEO der Firma OnAir, die Handynetze in Flugzeugen betreibt

Viele in den USA glauben, Handys im Flugzeug würden stören. Das haben wir 2007 auch noch geglaubt. Damals haben wir mittels einer Studie festgestellt: Sie stören nicht. Trotzdem hat unser Service als Vorsichtsmaßnahme einen simplen an/aus Knopf, mit dem die Kontrolle bei Pilot und Crew bleibt. Üblicherweise nutzen die Menschen ihre Handys für SMS, E-Mails oder Social Networks. Telefonate machen nur 10 Prozent der gesamten Handynutzung aus und dauern im Durchschnitt nur zwei Minuten. Millionen von Nutzern verwenden unseren Service, und doch haben wir keine einzige Beschwerde über Belästigung durch Telefonate erhalten.

Hugo Teso, 31, Pilot und Sicherheitsexperte, demonstrierte einen Flugzeug-Hack

Handys senden große Mengen elektromagnetischer Strahlung aus, vor allem wenn sie in tausenden Fuß Höhe das Netz verlieren. Als sie aufkamen, hatte die Luftfahrtindustrie keine Zeit, die Auswirkung dieser neuen Technologie auf alle verschiedenen elektronischen Flugzeugsysteme zu testen. Die Konsequenzen waren unbekannt und das Sicherheitsrisiko für die Passagiere zu groß, als dass sie hätten ignoriert werden können. Daher hatte die FAA die Verwendung von Handys während des Fluges verboten. Mittlerweile kann aber sichergestellt werden, dass die Flugzeugsysteme normal arbeiten, auch mit hunderten von Handys an Bord. Als lizensierter Pilot ist meine Antwort darauf, ob man Handys im Flugzeug erlauben soll, trotzdem: „Ja, aber!“ Ja, da die Sicherheitsfragen mittlerweile gelöst sind. Aber nur, wenn dadurch die Flugsicherheit nicht gefährdet wird. Als n.runs‘ Security-Experte habe ich einmal demonstriert, dass neue Technologien aber auch missbraucht werden können und dies nicht mehr nur Science-Fiction ist. Deshalb müssen auch zukünftige Technologien vor ihrem Einsatz in Flugzeugen geprüft werden.

Nein

Jo Leinen, 65, ist SPD-Politiker und seit 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments

Als Politiker quälen mich zwei Sachen: die häufige Fliegerei und der Zwang zur permanenten Erreichbarkeit. Wenn ein Übel das andere erträglicher macht, dann bin ich dafür. Beim Fliegen muss Sicherheit oberste Priorität haben. Und selbst wenn gesichert sein sollte, dass Telefonieren an Bord keine Gefahr darstellt, bin ich dort trotzdem für ein Handyverbot. So praktizieren es auf Wunsch der Kunden hin auch die allermeisten Fluglinien. Züge und erst recht Flugzeuge sind Orte, die man als Passagier nicht einfach verlassen kann, wenn es einem zu laut wird. In Zügen besteht zumindest die Möglichkeit, Ruhezonen einzurichten, im Flugzeug ist das nicht sinnvoll machbar. Wir sollten die Zeit im Flugzeug anders nutzen. Die Lektüre eines Buches oder einfach nichts tun hat noch niemandem geschadet. Wenn alle im Flugzeug am Handy quatschen, wäre das ein Grund, nicht mehr zu fliegen.

Susanne D‘Aloia, 34, Flugbegleiterin, ist Autorin des Lufthansa-Magazins

Man stelle sich vor: ein ausgebuchter A380 mit 555 Passagieren an Bord auf relativ engem Raum und ein zwölfstündiger Flug. Auch wenn auf diesem Flug nur die Hälfte der Passagiere gleichzeitig telefonieren würde, käme ich als Flugbegleiterin gar nicht mehr zu meinen eigentlichen Aufgaben: der Gewährleistung von Sicherheit und gutem Service. Einen Großteil meiner Arbeitszeit wäre ich wahrscheinlich damit beschäftigt, Unstimmigkeiten zwischen den Passagieren zu klären. Die einen telefonieren, die anderen fühlen sich belästigt. Durch die verschieden Zeitzonen ließe sich auch kaum ein geeignetes Nachtruhe-Zeitfenster finden. Ohrstöpsel für alle wären zwar eine denkbare Lösung, allerdings würden dann wohl sicherheitsrelevante Ansagen überhört werden. Mit WLAN und Mobilfunknetz für E-Mails, Live-Chats und SMS auf dafür ausgestatteten Lufthansa-Flugzeugen ist meines Erachtens ein guter Kompromiss zwischen Kommunikations- und Ruhebedürfnissen der Passagiere gefunden worden.

Alon Pereg, 55, berät Airlines und ist Pilot bei der israelischen Fluggesellschaft El Al

Wie bei den meisten Fluggesellschaften müssen auch bei El Al die Passagiere ihre Handys ausschalten. Mobiltelefone suchen im Flugzeug ständig Empfang und senden Signale. Mir ist es schon ein paar Mal passiert, dass ich falsche Navigationsdaten auf meinem Bildschirm hatte, als mein Flugzeug kurz vor der Landung war. War es nur ein Zufall, oder lag es daran, Dutzende undisziplinierte Gäste an Bord zu haben? Solange die Handy-Nutzung nicht überall bewiesen sicher ist, sollte keiner im Flugzeug das Handy nutzen dürfen.

Volker Beck, 33, ist taz-Leser und hat unseren Streit per E-Mail kommentiert

Wer heutzutage ein Flugzeug besteigt, erträgt einiges an Ärgernissen: Verspätungen, Flugverlegungen, verschwundenes Gepäck, enge Sitze und mieses Essen. Es wäre übertrieben, das Flugzeug als letzte Oase der Stille zu bezeichnen. Ich finde es trotzdem gut, dass auch über den Wolken die Freiheit Grenzen hat. Klar, bei einem – ökologisch sowieso unsinnigen – Flug zwischen Frankfurt und Stuttgart ist es nicht so schlimm, wenn jemand telefoniert. Aber was ist mit einem Langstreckenflug in die USA oder nach Asien, der sechs bis zwölf Stunden dauert? Ich habe während einer Zugfahrt von Seattle nach Portland einmal ein fast dreistündiges Telefonat ertragen müssen. Man stelle sich dann vor, neben einem Geschäftsreisenden zu sitzen, der während des Flugs sämtliche seiner Geschäftspartner anruft. Furchtbar.