Die Schildbürger von Nürnberg

Da trifft sich Kunst mit Fußball: Samentütchen mit Albrecht Dürers Fußballrasen und ein mit aufgetürmten Sitzschalen aus dem Berliner Olympiastadion verschandelter Brunnen. Wie man in der fränkischen Metropole der WM entgegenfiebert

Die beschauliche Bratwurstmetropole Nürnberg, die von den Bewohnern der Stadt merkwürdigerweise „Nännbärch“ genannt wird, hat in der Vorrunde acht Nationen als Freunde zu Gast. Die Japaner sind mit ihrer dauergrinsenden Freundlichkeit am drolligsten, denn alles, was ihnen über den Weg läuft, wird einfach wegfotografiert. Von den Kroaten wusste man bis vor einigen Jahren nicht viel. Ging man früher zum Jugoslawen, wurde später plötzlich ein kroatisches Cevapcici aufgetischt, das aber genauso schmeckte. Das war das Schöne an der kulturellen Vielfalt, man kannte alles schon und musste nichts Neues dazulernen. Die Mexikaner kennt man aus unzähligen Filmen und weil sie sich mit ihren Nationalgerichten in die Gehirne respektive Mägen der Menschen geätzt haben.

Ein paar Amerikaner werden auch erwartet. Gegen Mannschaften wie Deutschland können die Amis schon ganz gut mithalten. Außerdem hat man bei der Verlosung zwei Exoten aus der Wundertüte gefischt: Trinidad & Tobago und Ghana, Schwarze eben, für die man in Nürnberg weiße Schminke bereithält. Aber auch eine Arschkarte hat man gezogen: Den Iran mag so richtig niemand, und man fürchtet sich schon davor, dass Ahmadinedschad kommen könnte. Der würde sich hier richtig wohl fühlen, denn das Fifa-WM2006-Stadion, früher Frankenstadion, Schmuckkästchen und Easy-credit-Stadion genannt, befindet sich mitten im ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Dort könnte sich Ahmadinedschad vom Aufmarschgelände der Nazis mit der Tribüne, auf der Hitler sich den steifen Arm holte, inspirieren lassen und historische Luft atmen.

Damit aber an diesem Ereignis nicht nur diejenigen ihre Freude haben, die eine Eintrittskarte haben, hat Nürnberg ein „vielfältiges Programm entwickelt, das auch abseits des Stadions allen Bürgern und Besuchern viele Höhepunkte bietet“. Ein „Fest der Begegnung“ wünschen sich die Veranstalter, schließlich hat Nürnberg für die Fans ohne Eintrittskarte noch etwas Besonderes auf Lager: „Das einzige offizielle Public Viewing in Nürnberg wird im Fan-Fest präsentiert. Nahezu alle 64 Spiele (mit Ausnahme jener, die zeitgleich stattfinden) werden live (…) zu sehen sein.“ Und wer mit den dazu verabreichten „Musikacts, Talks und Topstars“ noch immer nicht abgefüllt ist, für den legt sich Nürnbergs Gastronomie ins Zeug, die sich unter dem Programmpunkt „kick & groove“ vorgenommen hat, „bei den internationalen Fußballfans eine kochende Leidenschaft für die fränkische Küche zu wecken“.

Glanzstück des kulturellen Begleitprogramms, zu dem aus unerfindlichen Gründen 600.000 Besucher erwartet werden, heißt „Das große Rasenstück“ und bietet Kunst im öffentlichen Raum. Albrecht Dürer hat unter diesem Titel einmal ein Aquarell gemalt und muss jetzt für diese Aktion herhalten. Unter „Albrecht Dürers Fußball-Rasen. Einmalige Sondermischung, bewährt seit über 500 Jahren“, werden in den einschlägigen „Info-Points“ Rasensamen in kleinen Tütchen verkauft. Auf der bewährten Albrecht-Dürer-Sondermischung dürfen nun internationale Künstler ihre Arbeiten zu den originellen Themen „Nürnberg, Rasen, Sport und Fußball“ auf zentralen Nürnberger Plätzen ausstellen. Einer der Künstler, der in Berlin geborene Olaf Metzel, Professor an der Akademie für Bildende Künste in München, hat das Wahrzeichen Nürnbergs, den Schönen Brunnen auf dem Nürnberger Hauptmarkt, mit einem 17 Meter hohen Turm aus Sitzschalen aus dem Berliner Olympiastadion verhüllt.

Da man in Nürnberg aber sonst nicht so viel hat, was man den ausländischen Gästen mit stolzgeschwellter Gänsebrust zeigen könnte, wurde der Nürnberger böse – und Bild schreibt vorneweg: „Kunst-Schande am Hauptmarkt“ und „Zur WM soll unser Schöner Brunnen unter Schrott verschwinden“. Die Anklage mündete sogar in ein handfestes Gerangel. Ein Bürger aus Katzwang wollte den Schönen Brunnen persönlich vor Missbrauch schützen und rief dazu auf, eine Menschenkette um den Brunnen zu bilden. Einige der Denkmalschützer überwanden sogar die Absperrung und legten sich mit den Sicherheitsleuten an. Ein Zuschauer äußerte die Idee, das Kunstwerk nur so lange stehen zu lassen, wie sich die deutsche Elf in der WM behauptet, denn dann wäre der Schöne Brunnen bald wieder zu besichtigen. Und als schließlich Oberbürgermeister Olaf Metzel selbst auftauchte, um die Arbeiten am Brunnen zu begutachten, wurde er von 200 Nürnbergern mit Pfiffen, Pfui-Rufen und wüsten Beschimpfungen empfangen. Aber statt Reue zu zeigen, möchte Olaf Metzel den Turm um zwei Meter aufstocken, diesmal mit Sitzelementen aus dem Nürnberger Stadion.

Die von Bild am Köcheln gehaltene Volksseele rief schnell auch etliche empörte Politiker auf den Plan, die sich hinter die protestierenden Massen stellten. Aber dann fand jemand heraus, dass der goldverzierte Brunnen sowieso nicht das Original aus dem 14. Jahrhundert ist, sondern bloß eine Kopie aus dem Jahre 1902. Das Original steht wohlbehalten im Germanischen Nationalmuseum, welches die Gunst der Stunde zu nutzen wusste und seither „Sonderführungen zum Original-Brunnen“ anbietet.

Was das alles mit Fußball zu tun hat? Keine Ahnung. Aber eins steht fest: Wer dieses Kulturprogramm durchhält, dem ist wahrscheinlich nicht mehr zu helfen. KLAUS BITTERMANN