NEBENSACHEN AUS DELHIVOM ALLTÄGLICHEN ELEND DER BETTELNDEN STRASSENKINDER
: Geben, spenden oder einfach Augen zu und durch?

VON GEORG BLUME

NEBENSACHEN AUS DELHI

Es ist fast schon eine zentrale Alltagsfrage in dieser Riesenstadt: Was tue ich mit den bettelnden Straßenkindern von Delhi? Sie sind überall. Sie sind unterernährt. Gebe ich ihnen ein Rupee-Stück? Stecke ich zu Hause Obst ein, um es zu verteilen? Schaue ich zu Boden und tätige daheim eine Spende?

Neulich traf ich in Thailand einen katholischen Missionar mit 20 Jahren Asienerfahrung in der Betreuung von Straßenkindern. Er sagte, er würde den Kindern etwas geben, egal was, schon um in ihre Augen schauen zu können und ihnen so das Gefühl zu geben, dass sie als Mensch wahrgenommen werden. Aber der alte Missionar schränkte gleich an: In Indien wäre ihm das alles nicht gelungen. Es hätte einfach zu viel bettelnde Kinder gegeben.

So ergeht es mir: Gebe ich etwas, kommen gleich zehn weitere Kinder angelaufen, für die ich kein Rupee-Stück mehr habe. Sie merken sich, wer gibt. Das macht die Alltagsgabe anstrengend.

„Gar nichts geben!“, rät mein Freund Deeptiman aus Mumbai, ein erfahrener Journalist, der in sehr bescheidenen Verhältnissen in der Armutsprovinz Bihar aufwuchs. Die Straßenkinder gäbe es nur, weil die Leute zu viel gäben, sagt Deeptiman. In seiner Kindheit hätte es die Mafiabanden mit ihren Straßenkindern, denen sie die Augen ausbrennen und die Arme abhacken, damit sie mehr verdienen, nicht gegeben. Weil das Geschäft nicht lief. Heute ließen sich die Banden nur wieder abschaffen, wenn man deren Geschäft austrockne. Also nichts geben und damit den Kindern künftiger Generationen helfen, sagt Deeptiman.

Er sagt das mit großem Engagement. Er lebt in der Stadt von „Slumdog Millionär“ – dem Film, der uns das Leben der indischen Straßenkinder auf erschreckende Art vorführte. Wobei Deeptiman die brutalen Kinderszenen als sehr realistisch lobt.

Wenn es aber wirklich so schrecklich ist, muss man dann nicht mehr tun als nichts geben? Manche behelfen sich mit Spenden. Doch sagen mir meine indische Freunde immer wieder, dass nur Ausländer für solche Projekte spenden, weil sie sich der Illusion hingäben, die Spenden kämen bei den Kindern an. So aber funktioniere Indien nicht, von Ausnahmen abgehen, die aber wirklich keinen breiteren Lösungsansatz darstellten.

Was bleibt dann? Und was erkläre ich meiner achtjährigen Tochter, die auch den Straßenkindern begegnet und von mir Antworten verlangt? „Jedes Mal neu entscheiden, nur nicht verdrängen“, hat der alte Missionar in Thailand am Ende geraten.