Ministerium zur Rettung der Welt

Zwanzig Jahre nach seiner Gründung ist das Umweltministerium immer noch ein kleines Haus. Und die Traditionsbataillone der Wirtschaft wollen, dass das so bleibt

Genscher fand die Fachkonferenzenzu stressig, und Spranger sprach kaum Englisch Ein chronischunterernährtes Leichtgewicht frisst sich Speck für die Zukunft an

Ein lauer Abend unter Palmen. An einem runden Plastiktisch sitzen zwei Männer. Sie sollen streiten, aber sie tun es nicht, vier Stunden lang nicht. Im Hotelgarten ist der Wunsch nach Austausch größer.

Beim Weltklimagipfel im marokkanischen Marrakesch im November 2001 ist das Kioto-Protokoll noch nicht über den Berg. Jürgen Trittin, der deutsche Umweltminister, gilt als Antreiber und Stratege, der die EU koordiniert und Allianzen darüber hinaus knüpft. Klaus Töpfer, sein Vorvorgänger im Amt, ist als Chef des UN-Umweltprogramms eine Art guter Hirte für all jene Länder, denen Geld und Leute fehlen, um mit einer ausgefuchsten Strategie ihre Interessen im globalen Klimapoker zu wahren – und die doch am härtesten betroffen sind.

Das Doppelinterview, das als Ergebnis dieses Abends später im Spiegel erscheint, fällt wenig spektakulär aus. Man spürt: Da wollen zwei dasselbe, deren parteipolitische Farbe das nicht eben nahe legt. Sie kennen sich, vor allem aber kennt Töpfer Trittins Alltag in Deutschland. Er hat bei Kohl am Katzentisch des Kabinetts gesessen. Nun geht es Trittin bei Schröder nicht viel besser. Das Bundesumweltministerium steht in der Kabinettshierarchie auch nach 20 Jahren ziemlich weit hinten. Genauer: auf dem drittletzten Rang.

Haushaltsexperten messen das Gewicht des Hauses am Etat – der beläuft sich derzeit auf 774 Millionen Euro oder knapp 0,3 Prozent des Gesamtbudgets. Journalisten sehen es an den Pressesprechern – die sitzen in der Bundespressekonferenz in der zweiten Reihe und müssen mit ihrem Namensschildchen nach vorne klettern, wenn jemand was von ihnen erfahren will. Was selten vorkommt.

Zur Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit musste erst fast 2.000 Kilometer von Bonn entfernt in der nördlichen Ukraine ein Atomkraftwerk explodieren – und der Kanzler vor wichtigen Landtagswahlen und einer bevorstehenden Bundestagswahl kalte Füße kriegen. Walter Wallmann, der erste im neuen Amt, hinterließ so wenig Spuren wie nach ihm nur Angela Merkel. Bei ihm lag es daran, dass ihn die Macht in Hessen mehr interessierte als Verpackungsverordnungen. Bei ihr, dass sie ihre Rolle und die ihres Hauses als Leichtgewicht akzeptierte. Das Mädchen aus dem Osten sollte üben, üben, üben. Das tat es, allerdings ganz anders als es der dicke Mentor und alle anderen gedacht hatten.

Klaus Töpfer aber, Merkels Vorgänger, arbeitete strategischer als seine weniger schlauen Kritiker – der Autor inbegriffen – ahnten. Der zugegeben witzige Spruch eines Oppositionsabgeordneten, gäbe es „eine Technische Anleitung heiße Luft, müsste Klaus Töpfer sofort stillgelegt werden“, war damals schon nur das: ein witziger Spruch. Denn Töpfer legte die Fundamente für eine Kreislaufwirtschaft, auf denen andere bis heute aufbauen. In Stichworten: Dosenpfand, Altautoverordnung, Deponieverordnung, Elektrogesetz …

Das konnte er, weil er Kohl damit nicht in seiner Ruhe störte und die Wirtschaftsminister von der FDP sowieso nicht verstanden, was da vorbereitet wurde. Mit der Atomlobby pflegte er eine kontrollierte Disharmonie, die ihm beim Transnuklear-Nukem-Skandal Ende der Achtzigerjahre half, hart durchzugreifen. Den Sinnspruch: „Wir müssen auch eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden“ – immerhin vorgetragen bei der Jahrestagung Kerntechnik 1988, dem alljährlichen Hauptgottesdienst der Atombranche – haben sie ihm nie verziehen, auch nicht in der eigenen Partei.

Töpfer setzte 1990 den Kabinettsbeschluss durch, der eine Minderung der nationalen Kohlendioxidemissionen um 25 Prozent bis 2005 zum Ziel hatte und an dem Trittin und Rot-Grün schließlich scheiterten. Möglich wurde der Beschluss, weil Wahlkampf war, eine Chance für jeden Umweltminister im Dauerclinch mit dem jeweiligen Kollegen vom Wirtschaftsressort. Denn Umweltpolitik ist in Deutschland beliebt, Kohlepolitik taugt allenfalls zum Lokalkolorit.

Dass Töpfer zum wichtigsten Mann Europas beim Erdgipfel in Rio wurde, war allerdings nicht von Anfang an sein Verdienst. Er hatte es der partiellen Ignoranz von Hans-Dietrich Genscher zu verdanken, der als Chefdiplomat keine Lust auf ewig lange Weltklimakonferenzen hatte. Und der Sprachinkompetenz von Entwicklungsminister Carl-Dieter Spranger, der zu wenig Englisch konnte. So kam Töpfer zum Klimaschutz und nach ihm kamen Merkel und Trittin. Jürgen Trittin erreichte den Atomkonsens, den alle aufrechten Atomkraftgegner ablehnten – und von dem die meisten von ihnen heute froh wären, wenn er hielte. Trittin schaffte außerdem etwas, was Töpfer gern geschafft hätte: die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes nach zwei Jahrzehnten vergeblicher Anläufe. Gerade ist die große Koalition dabei, diese Errungenschaft per Föderalismusreform wieder erodieren zu lassen.

Vielleicht war Trittins größte Tat für eine lebenswerte Zukunft, dass er bei den Grünen nach deren Bundestagswahlsieg 2002 den Verzicht auf ein viertes Ministerium durchsetzte – um sich vom Kollegen Wolfgang Clement die Erneuerbaren Energien zu greifen. Das waren nur ein paar Referate, aber vielleicht die wichtigsten für die Zukunft des Hauses überhaupt.

Atomkraft, Klimaschutz, Erneuerbare Energien: ein chronisch unterernährtes Leichtgewicht frisst sich Speck an. Es ist ein besonders nützlicher Speck. Zukunftsspeck sozusagen. Nach 20 Jahren ist das nun von Sigmar Gabriel bezogene Haus immer noch ein Häuschen im Vergleich zu anderen. Es ist ein Zukunftsministerium für Abwicklung, Innovation und Rettung der Welt. Das sind große Aufgaben. Es sind darüber hinaus objektive Aufgaben, die gegen die Traditionsbataillone der Wirtschaft – auch gegen die in den Ministerien – durchgefochten werden müssen.

„Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe“ ist ein theoretisch attraktives Konzept geblieben, das in der realen Welt von allzu vielen nur an Sonn- und Feiertagen bemüht wird – und am Montag steht dann Hubertus Schmoldt von der Kohle- und Chemiegewerkschaft vor der Tür. Die leichthin verbreitete Behauptung, der Gegensatz von Ökonomie und Ökologie habe sich aufgelöst, beruht auf selektiver Wahrnehmung. Es wird auch Verlierer geben, wenn das Treibhaus Erde durchlüftet wird. Sigmar Gabriel, der den Begriff „Fortschrittsdenken“ bemüht, muss sich an den Schmoldt-Demontagen bewähren.

Es ist richtig, die Sphäre der Ökonomie für die Umwelt zu reklamieren. Ressourcen- und Energieeffizienz sind wirtschaftspolitische Konzepte, an deren Realisierung sich die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und der Welt entscheidet. Klaus Töpfer erwartet deshalb eine „kräftige Renaissance der Umweltpolitik“. Am Ende zählt – um ein Wort des BMU-Gründervaters aufzugreifen –, was hinten rauskommt. Wichtig ist die Gewichtszunahme des Ministeriums in der großen Koalition. Nur an ihr wird Sigmar Gabriel gemessen werden. GERD ROSENKRANZ