Dunkle Haut, weißer Puder

BOXEN Der sinto- deutsche Boxer Johann Trollmann entwickelte einen tänzerischen Kampfstil. 1933 wurde er Champion, doch die Nazis stahlen ihm den Sieg. Ein Denkmal im Viktoriapark erinnert nun an ihn

Seine schwarzen Haare blondierte er sich und seine Haut weißte er mit Puder

VON ISABEL METZGER

Die Kür zum Champion kam für Halbschwergewichtsboxer Johann Trollmann reichlich spät – 60 Jahre nach seinem Tod. Und auch diese postume Ehrung ist mehr sportliche Korrektur denn Wiedergutmachung: Ein Denkmal im Kreuzberger Viktoriapark erinnert ab heute an den Profikämpfer.

Trollmanns Sieg im Jahr 1933 hatte man sorgsam verschwiegen. Denn Trollmann war Sprössling einer sintodeutschen Familie aus Hannovers Armutsvierteln. Sein Gewinn nach Punkten über Adolf Witt musste der nationalsozialistischen Idee einer arischen „Herrenrasse“ spotten. Die Jury annullierte den Kampf kurzerhand. Wenige Jahre später kam Trollmann im KZ ums Leben. Erst im Jahr 2003 erhielten zwei Neffen Trollmanns symbolisch den Meistergürtel. Am heutigen 9. Juni jährt sich der Meisterschaftskampf Trollmanns zum 77. Mal.

Das neue Kreuzberger Denkmal von den Künstlern der Bewegung Nurr und Florian Göpfert wirkt unaufdringlich. Zu sehen ist ein leerer Boxring, der Boden fällt zum Hang hin ab, als ob kein Halt mehr wäre. Betitelt ist es mit Trollmanns Häftlingsnummer „9841“. Eine Darstellung des Boxers fehlt, und das hat seinen Grund. Denn der Faustkämpfer verkörpert wie kein anderer die Figur des männlichen Heros, deren (Fehl-)Interpretation Trollmann zum Opfer fiel. Ein Heldenschlag dem Toten – das wäre zynisch.

Lüge von der Fairness

Der Fall Trollmann markiert eine Grenze des Sportes: Seine Gleichschaltung im Nationalsozialismus strafte die vermeintliche Unantastbarkeit sportlicher Fairness Lügen. Es zeigte sich, dass auch das, was wir so salopp unter „Sportlichkeit“ fassen, eine Idee voraussetzt. Diese Idee wurde Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert. Mit dem Boxen – damals ähnlich beliebt wie heute der Fußball – verband sich ein Glaube an selbsterkämpfte Freiheit: Als der 1907 geborene Trollmann die Boxhandschuhe überzog, da war der Faustkampf gerade als Mode aus den USA herübergeschwappt. Der amerikanische Traum fand sich im Bild des Hochkämpfens aus den Slums in die Boxringe der Welt wieder.

Sinti und Roma waren keine gern gesehenen Nachbarn und lebten oft in abgekapselten Armenvierteln. Trollmanns Vater, gelernter Schirmmacher, verdingte sich mit Musizieren ein Zubrot, um Frau und acht Kinder zu ernähren. Der Boxsport, der Kämpfern wie Hans Breitensträter später zu einem Vermögen verhelfen sollte, erschien als frei zugängliches, demokratisches Eiland inmitten eines Sumpfs von Vorurteilen. Ihn umgab nicht der Glanz der Jockeys, sondern ein Reiz von Verbotenem. Er gehörte in die Hinterhöfe, die Jahrmärkte, die Zirkuszelte. Öffentliche Wettkämpfe waren in Deutschland erst ab 1918 erlaubt.

Anfangs erfüllte sich der Traum für Johann Trollmann. Der junge Mann hatte sein Talent in die Wiege gelegt bekommen. Wegen seiner hochgewachsenen Statur nannte ihn seine Familie „Rukeli“, was in der Sprache Romanes so viel wie „Baum“ bedeutet. Im Alter von acht Jahren setzte er zum ersten Mal seinen Fuß in eine Boxhalle, trat anschließend dem BC Heros Hannover bei und entwickelte im Laufe der Zeit einen ganz eigenen, progressiven Kampfstil: Er tänzelte um seine Gegner, wich ihren Schlägen flink aus. Anstatt, wie damals noch üblich, seinen Kopf einfach hinzuhalten und den Schlagabtausch zu ertragen. Frauen himmelten ihn an. Max Schmeling bot ihm an, für seinen Stall in den USA zu kämpfen. Er lehnte ab, wollte seine Familie nicht verlassen.

Das war ein Fehler. Der zunehmende Rassismus in Deutschland machte vor den Kampfarenen nicht Halt. Bald war in den Magazinen vom „Zigeuner im Ring“ die Rede, Trollmanns Kampfstil wurde zum Prädikat einer „Rasse“ umgedeutet. Der Höhepunkt seiner Karriere wurde zum Wendepunkt: Als er 1933 im Kampf um die Meisterschaft siegte, da drängten Nazifunktionäre in der Jury darauf, den Schlagabtausch als unentschieden zu werten. Das Publikum rebellierte. Es ging um Fairness und einfache Mathematik: Trollmann war nach der 12. Runde nach Punkten überlegen. Er ging als Sieger aus dem Ring.

Doch die Freude weilte nicht lange. Acht Tage später wurde der Beschluss zurückgenommen. Beide Boxer hätten „ungenügende Leistungen“ in den Kampf eingebracht. Es folgte Trollmanns letzter großer Auftritt: eine Farce. Man ließ Gustav Eder, eigentlich Weltergewichtler und schwerer als Trollmann, gegen ihn antreten. Außerdem legte man Rukeli nahe, von seinem „zigeunerhaften“ und „undeutschen“ Kampfstil Abstand zu nehmen. Eine interessante Begründung, da sie eine sportliche Motivation vorgaukelt: Was als „undeutsch“ gilt, entspricht nicht den Spielregeln und muss disqualifiziert werden. Man umging also sportliche Fairness, indem man sich ihrer Argumentation oberflächlich anpasste.

Trollmann inszenierte den Kampf in bitterer Selbstironie: Seine schwarzen Haare blondierte er sich und seine Haut weißte er mit Puder. Breitbeinig ließ er sich von seinem Gegner verprügeln, begleitet von Pfiffen aus dem Publikum. Spätere Erfolge blieben aus. Sein Manager kündigte. Trollmann schlug sich mit Showkämpfen auf Jahrmärkten durch. Zu Kriegsbeginn berief man ihn als Infanterist in die Wehrmacht ein, von der er aus „rassenpolitischen Gründen“ später wieder entlassen wurde.

Himmlers Erlass

Das Leben auf der Straße war gefährlich geworden. Einmal landete Trollmann wegen „Herumstreunens“ vorübergehend in einem Arbeitslager. Himmlers Auschwitz-Erlass im Jahr 1942 ordnete schließlich die systematische Vernichtung der Sinti und Roma an. Man deportierte Trollmann ins KZ Neuengamme, später nach Wittenberge. Zur allgemeinen Belustigung forderten SS-Männer ihn dort immer wieder zu Boxkämpfen heraus. Einmal trat er gegen einen Kapo an und gewann – wieder ein Fehler: Bei einem Arbeitseinsatz erschlug ihn sein Gegner aus Rache mit einer Schaufel.

■ Heute um 18 Uhr wird „9841 – Temporäres Denkmal für Johann Trollmann“ eingeweiht. Ab 20 Uhr wird Dotschy Reinhardt mit ihrer Band ein Konzert geben. Weitere Termine: www.trollmann.info