Verwirrung, Ärger und Unmut

PUSSY RIOT In der Volksbühne wurde der Dokumentarfilm „Pussy versus Putin“ gezeigt. Dann sollte diskutiert werden – das klappte aber nicht so recht

„Warum habt ihr Angst davor, euer Gesicht zu zeigen?“, fragt ein Besucher der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau die Frauen mit den bunten Sturmmasken. Es ist eine Szene aus dem Film „Pussy versus Putin“ des russischen Filmkollektivs Gogol’s Wives. Der Kirchgänger wirft eine Frage in den Raum, die sich an diesem Abend, wo „Pussy versus Putin“ in der Volksbühne gezeigt wird, auch einige Zuschauer stellen.

Denn immer wieder werden Bilder des Dokumentarfilms, der vor Kurzem beim Amsterdamer Dokumentarfilmfestival IDFA prämiert wurde (siehe taz vom 11. Dezember), mit schwarzen Blöcken überblendet – vermutlich immer dann, wenn die auf Bewährung freigelassene Ekaterina Samujcevic zu sehen wäre.

Im Zeigen des Films sehe sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Deswegen hätten an mehreren Teilen des Films Änderungen vorgenommen werden müssen, erklärt eine Mitarbeiterin der Volksbühne. In den etwa zu Zweidritteln gefüllten Besucherreihen herrscht erst Verwirrung, dann Unmut. Vereinzelte Buhrufe und Gelächter sind zu hören, dann echauffiert sich ein Mann: „Das ist Zensur, regt sich da niemand drüber auf?“

Sein Einwurf ist verwunderlich, zeigten doch kurz zuvor die wackeligen Bilder aus der Handkamera der Dokumentarfilmer die Gewalt und das Ressentiment, dem die AktivistInnen um Pussy Riot ausgesetzt sind: Orthodoxe Christen hassen und beschimpfen sie, die Polizei greift stoisch durch. Nicht erst dieser Film macht deutlich, wie gefährlich politischer Aktivismus in Russland ist. Dass Samujcevic sich davor schützen will, dass möglicherweise belastendes Filmmaterial veröffentlicht wird, ist nachvollziehbar.

Die Stimmung ist geladen

Doch die Einwände des Publikums zeigen auch, wie aufgeladen die Stimmung ist. Nach dem Film wird vom spontan eingesprungenen Moderator Alexander Formozov, Autor und Mitglied des Künstlerkreises um Gogol’s Wives, versucht, ein Gespräch anzuregen. Eingeladen sind der Theologe Joachim Willems, Autor des Buchs „Pussy Riots Punk Gebet“, der Künstler Alexander Delfinow, die Kostümbildnerin und Menschenrechtsaktivistin Beate Borrmann und die Rechtsanwältin Olga Gnezdilowa. Doch über allgemeine Auskünfte darüber, wie die einzelnen Personen zu Pussy Riot stehen und dass russische Kulturschaffende immer vorsichtiger werden müssen, kommt das Podium nicht hinaus. Vor allem aus Zeitgründen scheitert Formozov daran, eine tiefergehende Diskussion zu initiieren.

Auch unfreiwillig komisch wird es immer wieder, etwa, wenn die vier MitgliederInnen des Filmkollektivs per Skype in das Gespräch geschaltet werden, aber bis auf etwas Rauschen und ein paar unverständliche Worte kein akustischer Reiz ins Publikum dringt. Und während die Runde noch spricht, kommen Musiker der Bands auf die Bühne, die für heute Abend noch angesagt sind. Sind sie genervt von der Zeitverzögerung und wollen ihren Auftritt hinter sich bringen? Oder gar ein Zeichen setzen gegen das unproduktive Gespräch? Schnell übertönen sie die Plenumsrunde und steigern sich langsam in eine energiegeladene Performance.

„Die Wahrheit findet man nicht im Himmel“, rufen einige SängerInnen. Im Laufe des Abends spielen Hands Up Excitement!, die mit einem Streicherensemble arbeiten. Ihnen folgt der kreischende Synthiesound von The Real Baba Dunyah. Zuletzt ist Wave-Pop von den Aktionskünstlerinnen Maiden Monsters zu hören.

Das ist spannend, doch da haben viele Besucher den Raum schon verlassen, gelangweilt, irritiert vom mangelnden Informationsgehalt der Veranstaltung, oder um sich Bier zu holen. Der Abend hat sich längst zu einem Freundetreffen gewandelt, auf der Bühne umarmen sich die Leute und tanzen. Sicher wäre es sinnvoller gewesen, die solidarischen Konzerte separat stattfinden zu lassen, um sowohl der Musik als auch dem Gespräch mehr Raum zu geben.

„Warum habt ihr die Leute auf dem Podium nicht ausreden lassen?“, ruft eine Frau aus dem Publikum. Die Gegenfrage eines anderen Besuchers folgt prompt: „Warum war der Moderator so schlecht?“ Damit ist das Maß an kritischem Bewusstsein, das dieser Abend zulässt, auch schon erfüllt. LISA FORSTER