Aus Frust ins Netz

Die Iraner haben Weblogs als ihr Medium entdeckt. Narin Alavi führt ein in diese Netzwelt und vermittelt auf diese Weise ein lebendiges Bild der jungen iranischen Gesellschaft

Begonnen hatte es mit einem kurzen Artikel auf einer iranischen News-Site. Der junge Journalist Hossein Derachschan, der früher in Iran für eine reformorientierte Zeitung geschrieben hatte und nach deren Schließung nach Kanada emigriert war, berichtete darin von einer Entdeckung: das Blogging-Format und vor allem, wie sich die neueste Technologie dazu verwenden ließe, Blogs in Persisch zu schreiben. Zwei Monate später, im November 2001, gab es bereits 200 iranische Blogs, heute sind es mehr als 100.000.

Nasrin Alavis hat nun in „Wir sind der Iran“ die Weblogs von iranischen Studenten zusammenstellt – und die spannende Erfolgsgeschichte dieses neuen Mediums geschrieben.

Im Herbst 2003 eröffnete in Teheran das erste Blog-Café der Welt. Manche beschreiben in den, meist anonymen, Blogs ihren Alltag oder nutzen das Blogging einfach als Möglichkeit, sich frei auszudrücken. Andere sind bewusste politische Beobachter und versorgen die Welt so mit Insider-Informationen aus Iran. Als „einen Jungen, der aus Iran berichtet“, bezeichnet sich einer, den man unter www.plate.blogspot.com findet und der es sich beispielsweise zur Aufgabe gemacht hatte, Bilder und Berichte über die Studentendemonstrationen vom Sommer 2003 ins Netz zu stellen.

So handeln die Weblogs ein breites Spektrum an Themen ab. Etwa das Versagen der Behörden beim Erdbeben von Bam: „Unsere gesamte blog-Community schreit mit einer Stimme, dass das Regime direkt verantwortlich ist, weil es all diese Jahre über nichts getan hat, außer sich in dunkle Machenschaften zu verstricken.“ Und die Frage nach einer möglichen Intervention der USA oder den aktuellen Harry Potter-Film.

Es geht um die neueste Musik, Sex vor der Ehe – und vor allem die Nöte von Frauen. Beispielsweise wird thematisiert, dass Frauen nach einer Scheidung kein Recht auf die Kinder haben: „Vor ein paar Monaten ist mein Mann gegangen, weil wir uns nur noch gestritten hatten. Jetzt kann ich nur noch darauf warten, dass er mit die Kinder wegnimmt.“

Die jungen Leute verlegen sich auf das Internet, um an das heranzukommen, was ihnen die Konservativen vorenthalten: Informationen und Spaß. Internetcafés schießen im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden. Die meisten gutbürgerlichen Familien besitzen einen PC. Mit einer Karte, die den Prepaid-Karten der Mobiltelefone vergleichbar ist, wählen sie sich ein. Schätzungen zufolge haben bereits drei der 64 Millionen Iraner einen eigenen Zugang zum Internet.

Vielfach wird das Internet auch genutzt, um sich über die Weltpolitik und die iranische Innen- und Außenpolitik zu informieren. Es gibt mehrere Dutzend Internet-Adressen, auf denen alle Artikel zusammengestellt sind, die in der Welt über Iran erscheinen. Etwa die Internet-Seiten www.payvand.com und www.iranmania.com. So ist die iranische Jugend tatsächlich mit MTV und dem Internet vertrauter als mit Revolutionsliedern oder schiitischen Trauergesängen. Doch wo es kaum Freizeitmöglichkeiten gibt und jedes Beisammensitzen auf einer Parkbank zur Bestrafung führen kann, steigt der Frust. Und über diesen Frust äußern sich die Jugendlichen freimütig im Netz. Insofern bietet die Lektüre der Weblogs, an der Nasrin Alavi uns teilhaben lässt, einen hervorragenden Einblick in die iranische Gesellschaft. KATAJUN AMIRPUR

Nasrin Alavi: „Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weblog-Szene“. Aus dem Englischen von Violeta Topalova. KiWi, Köln 2005, 224 Seiten, 9,90 Euro