die taz vor 18 jahren über eine verkorkste beziehung: die deutschen und der fußball
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Die Antwort auf die nach wie vor das Gemüt der Nation bewegende Grundfrage, ob der deutsche Fußball noch zu retten sei, kann sehr einfach beantwortet werden: Nein! Er war es nie.

Der Grund dafür ist simpel: Deutsche Mentalität und guter Fußball vertragen sich einfach nicht. In einem Land, wo Lebensqualität durch eine unüberschaubare Anzahl verschiedenartiger Versicherungen ersetzt wird, wo derjenige als bester Fußballer betrachtet wird, der sich während des Spieles am dreckigsten macht, kann der Fußball nicht gedeihen.

So verwundert es kaum, daß der deutsche Fußball chronisch krank ist, geprägt von langen Phasen des Siechtums, die von kurzen Scheinblüten, Augenblicken vermeintlichen Glanzes, schnell verblassender Größe und abrupt gestoppter Euphorie unterbrochen werden.

Nein, mit der aktuellen Mannschaft ist kein Blumentopf zu gewinnen. Höchstens vielleicht eine Europameisterschaft. Strikte Defensive, gewürzt mit einer gehörigen Portion ungesunder Härte und etwas Glück, könnten das bundesdeutsche Team ins Finale hieven – eine Horrorvision mit Wahrscheinlichkeitsgehalt, deren Realisierung jedoch nichts daran ändern würde, daß sich der hiesige Fußball einmal mehr in einer tiefen Talsohle befindet.

Wer aber könnte ihn dort herausholen? Udo Lattek etwa, den Springer zum Beckenbauer-Nachfolger küren möchte? Das darf bezweifelt werden. Also wohl doch nur Franz Beckenbauer selbst. Er brauchte sich nur auf seine Anfänge zu besinnen und seinen Spielern etwas einhauchen von jenem Geist von 1966, als er beim 5:0 gegen die Schweiz das Leder so behutsam ins Tor stupste, daß die Fernsehapparate daheim vor Wonne dahinschmolzen, als die Pässe gleich doppelt und dreifach ankamen, wenn es sein mußte, auch über 40 Meter, als selbst so grobe Klötze wie Held und Emmerich für kurze Zeit das Fußballspielen lernten, als Haller …, als Seeler …, als Overath …, seufz …

Matti Lieske, 10. 6. 1988